kulturfreak.de Besprechungsarchiv Musical und Show, Teil 4

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Crazy for you ®

Nationaltheater Mannheim

Der Architekt und Bauhausschüler Gerhard Weber schuf in den fünfziger Jahren das Mannheimer Nationaltheater, das zu einem Vorbild des modernen Theaterbaus wurde: eine flexible Raumgliederung um das zentrale Bühnenhaus herum und die Abkehr von der klassischen Guckkastenbühne. Für seine Theaterbauten wurde er auf der internationalen Architekturausstellung in São Paulo 1957 als bester Theaterarchitekt ausgezeichnet.

Vom Thema „Theater“ handelt auch das Musical „Crazy for you“, das am 24. Oktober 04 seine Premiere im Mannheimer Nationaltheater hatte. Obwohl das Stück 1992 seine Uraufführung in New York hatte, spricht in diesem Musical nicht die Moderne, sondern es geht einige Schritte zurück in die „gute alte Zeit“ des amerikanischen Musicals. Denn es basiert auf George und Ira Gershwins „Girl Crazy“, das seine Premiere am 30. Oktober 1930 im New Yorker Alvin Theater hatte (mit Ginger Rogers in der Rolle der Molly Gray). Ken Ludwig bearbeitete das Stück umfassend, gestaltete es neu und nannte es “Crazy for you“ ® .

Bobby Child liebt die Bühne und den Stepptanz, doch seine reiche Mutter will ihn in der familieneigenen Bank unterbringen. So schickt sie ihn in die Wüste von Nevada, um ein bankrottes Theater im Auftrag der Bank zu liquidieren. Doch es kommt anders als gedacht, reichliche Verwicklungen und Gefühlsdudeleien, am Ende nur glückliche Paare.

Die großartige Musik von George und Ira Gershwin mit Hits wie „Embraceable you“ oder „I got thythm“ wird in Mannheim von Michael Cook und Orchester mit viel Freude, Tempo und Dynamik gespielt. Zu Beginn sitzt das Orchester noch vor der Bühne auf Publikumshöhe, so dass die Stimmungsmachende Ouvertüre mit Aug und Ohr genossen werden kann. Erst danach fährt das Orchester in den Graben und gibt die Sicht auf die Bühne frei. Ein schöner Auftakt.

Die Inszenierung ist eine Übernahme der Koproduktion des Musiktheaters im Revier Gelsenkirchener mit dem Landestheater Linz (aus 2002/03)und so gibt es auch in Mannheim das bewährte, auf die 30er Jahre ausgerichtete, Bühnenbild von Knut Hetzer. Stets bleibt in der Bühnenmitte genug Platz für die zahlreichen Tanzszenen, seien es nun Gaines Hall großartigen Soloperformances oder Ensemblenummern.

Für den aus Alabama stammenden Gaines Hall scheint die Rolle des Bobby Child die Rolle seines Lebens zu sein. Singend, tanzend und mit einer eleganten Leichtigkeit bietet er Showbiz pur. Dabei sitzt jeder seiner vielen Steppschritte perfekt, sei es auf dem Bühnenparkett oder auf der Motorhaube eines Autos. Doch auch als Schauspieler und Sänger überzeugt er vollends.

Die Musical erfahrene Wienerin Roswitha Stadlmann als Polly Baker hat es da nicht leicht, gegen einen derart leuchtenden Stern wie Gaines Hall anzukommen, auch wenn sie diese Rolle bereits am Landestheater Linz gespielt hat. Geprägt vom Umgang mit den hart aber herzlichen Cowboys, entwickelt sie die Rolle der Pollys glaubwürdig zur liebenden Dame und ist Hall eine hervorragende Tanzpartnerin.

Auch wenn diese beiden das Stück prägen, die anderen Rollen sind nicht nur pure Begleitung, sondern sorgen durch die gute Besetzung für ein insgesamt rundes Stück. Jede Rolle fügt sich gut ein und ein jeder brilliert in seiner, wenn auch kleinen, Rolle. Sei es Sigrid Schütrumpf (Mrs. Child, Marie-Belle Sandis (Irene Roth) oder Oliver Sekula (Lank Hawkins), um nur einige zu nennen.  Judith Peters Kostüme sorgten auch in Mannheim für die nötige optische Umsetzung in die 30er Jahre und in den wilden Westen Nevadas.

Das Tanzensemble ist mit ausgefallen Schritten dabei und hat bei diesem Musical reichlich zu tun, für die Zuschauer stets ein Genuss (Choreographie: Melissa King).

Matthias Davids hat nicht nur bei der Deutschen Erstaufführung von „Saturday Night Fever“ (1999 in Köln), sondern auch bei sehr vielen weiteren Musical die Regie geführt und dadurch ein großes Maß an Erfahrung hinsichtlich Musicalinszenierungen. Sein „Crazy for you“ kommt „rund“  flott und dennoch mit viel Liebe zum Detail beim Mannheimer Publikum an, das zu jeder Nummer enthusiastisch klatscht und am Ende vollends in den Jubel einfällt.

Markus Gründig, Oktober 04


Pinkelstadt – Das Musical

Die neuen Betreiber des Traditionshauses Schlossparktheater haben mit ihrer europäischen Uraufführung von Pinkelstadt – Das Musical einen mutigen Schritt gewagt. Keine Neuauflage eines bekannten Stückes sondern etwas ganz anderes sollte es sein. Es heißt nicht umsonst „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!“ Und die Wahl des Stückes wie auch die Besetzung der einzelnen Rollen sind gelungen!

Zum Titel des Musicals passen sicherlich die Begriffe „schmuddelig“, „fragwürdig“ oder sogar  „abstoßend“, aber das erwartet den Zuschauer nicht. Vielmehr ist es dem Produktionsteam von Andreas Gergen und Gerald Michel gelungen, die Off-off-Broadway Atmosphäre New Yorks in das bürgerliche Berlin – Steglitz zu holen. Mark Hollmann und Greg Kotis haben in einfühlsamer Art und mit pointiertem Zeigefinger ein Musical geschrieben, das sowohl das Theatergenre insbesondere bekannte Produktionen persifliert als auch zum Schluss den moralischen mahnenden Zeigefinger hebt. Regisseur Andreas Gergen steht voll und ganz hinter seinem ersten „Baby“ im eigenen Haus: Er konnte seine eigene Interpretation kreieren und diese Neu-Inszenierung speziell auf die Berliner zuschneiden. Vor diesem Hintergrund ist es konsequent, wenn aus Urinetown  in der Übersetzung Pinkelstadt wird. Auch Schifferstadt und Urinienburg standen zeitweilig zur Diskussion.

Pinkelstadt – Das Musical erzählt die Geschichte einer Stadt, in der nach einer ökologischen Katastrophe die Regierung das Wasser rationieren muss und deshalb private Toiletten verbietet. Ausschließlich die Benutzung öffentlicher Toiletten ist gegen hohe Gebühr erlaubt, die von einer geldgierigen  Betreiberfirma, der GmbHarn & Klo KG, für das menschlichste aller Bedürfnisse erhoben wird. Aus den Reihen der von Staatspolizei und rigorosen Toilettenfrauen unterdrückten Armen tritt eines Tages ein Held, Johnny Stark, hervor, der das geknechtete Volk in die Freiheit führen soll. Natürlich spielt auch die Liebe eine wichtige Rolle in dieser Geschichte, aber nicht jedes Stück hat auch ein Happy End…

Das Publikum der Medienpremiere begegnete dem Titel mit Humor und Neugier; unter ihnen erwarteten Mark Hollmann und Greg Kotis die ersten Reaktionen auf die deutsche Uraufführung, die aus den Federn von Ruth Deny (u.a. Mamma Mia!, 42nd Street) und Wolfgang Adenberg (u.a. The Scarlet Pimpernel, Titanic, 42nd Street) stammt.

Stimmungsvoll in dunkles schwarz getaucht wirkt der Zuschauerraum schon fast bedrohlich, wenn im Opening Scheinwerferkegel wie an einer scharf bewachten Grenze die Dunkelheit zerschneiden. Trillerpfeifen ertönen und zahlreiche Polizisten eröffnen mit einem Sturm die Szene. Doch der Albtraum scheint schnell vorüber zu sein, wenn im nächsten Bild in bester Kurt-Weill-Manier die einzelnen Protagonisten die Bühne betreten. Allen voran der Erzähler Wachtmeister Kloppstock, der im Zwiegespräch mit Klein Erna den Zuschauer auf das einstimmt, was ihn in den nächsten zweieinhalb Stunden im Theater erwartet. So wird Johnny Stark gegen das Unrecht und somit auch gegen Werdmehr von Mehrwerth dem Eigentümer der GmbHarn & Klo KG kämpfen, korrupte Politiker wie der Abgeordnete Schmier und die idealistische Freya von Mehrwerth die Szene betreten und Elfriede Fennichfux kontrolliert akribisch die gesetzeskonformen Toilettenbesuche von Suppen-Suse, Hans-Heiner Heinz und dem grundschlechten Gretchen. Wachtmeister Kloppstock und sein Kollege Wampe wachen über der gesamten Inszenierung.

Schon die einzelnen Rollennamen lassen erkennen, welche Kreativität bei der Umsetzung des New Yorker Stoffes gefragt war. Aber auch beim Casting waren Andreas Gergen und Jennifer Moos mit mehr als 100 % dabei, denn die Auswahl der Darsteller war mehr als nur „die halbe Miete“: Jede der Figuren wurde maßgeschneidert besetzt. Im Bühnenbild von Stephan Prattes und in den Kostümen von Regina Schill stehen und agieren Ilja Richter, Aris Sas, Sara Fonseca, Gabriele Ramm, Thorsten Tinney, Katharine Mehrling, Tamás Ferkay, Uwe Dreves, Danny Costello, Tilman von Blomberg, Mary Harper, Bettina Meske, Eric Minsk, Christa Schreiner und Felix Powroslo (alternierend Aimée Covo und Boris Freytag). Für die exzellente Choreografie sorgt Melissa King (u.a. Chicago, Chess).

Omnipräsent wirkt Thorsten Tinney betörend attraktiv – nicht nur durch die Uniform des Wachtmeister Kloppstock – und zeigt charismatische Züge. Die Berliner Göre Katharine Mehrling alias Klein Erna bezaubert von Beginn an mit ihrer kindlichen Art und der frechen Schnauze. Ilja Richter als Werdmehr von Mehrwerth entspricht dem Klischee des skrupellosen Geschäftsmannes, der über Leichen geht; sein Schauspiel wirkt pointiert genau. So zum Beispiel im Dialog mit dem Abgeordneten Schmier (Uwe Dreves): „Wo ist mein Geld?“ – „Fragen wir uns das nicht alle, Herr Abgeordneter?“

Sara Fonseca (Freya von Mehrwerth) ist als liebende Tochter wie auch als verliebte Frau strahlend schön und naiv, ihr Sopran erklingt glockenklar. Die Figur der Elfriede Fennichfux verkörpert Gabriele Ramm mit Energie, Herz und Zielstrebigkeit musikalisch wie schauspielerisch.

Der Held der Inszenierung ist zweifelsfrei und im doppelten Sinne Aris Sas, der Johnny Stark spielt. Gesanglich variationsreich und in seiner Darstellung noch über den Tod hinaus präsent vermag er es, seine überzogene Rolle charismatisch und kraftvoll zu zeichnen. Als Mischung zwischen Che Guevara (Evita), Marius (Les Misérables) und Raoul (Das Phantom der Oper) ist Johnny Stark einfach stark!

Dieser kurze Einblick in die Charaktere und ihre Darsteller zeigt auf, was das insgesamt exzellent agierende Ensemble präsentierte, aus dem Bettina Meske, Eric Minsk, Danny Costello und Tilman von Blomberg besonders hervorstachen.

Szenische „Anleihen“ und choreografische Feinheiten aus anderen Inszenierungen erkannte das Fachpublikum zahlreich und belohnte sie ein ums andere Mal mit offenem Szenenapplaus: Titanic, Chicago, West Side Story, Evita, Cats, FMA – Falco meets Amadeus oder Les Misérables. Und auch die Moral der Geschichte – Andreas Gergen bezeichnet diese Inszenierung als modernes Märchen – kann der aufmerksame Zuschauer erkennen: Pass auf, was du heute tust, damit du das Morgen noch erleben kannst.

Doch auch der nicht passionierte Musicalgänger sollte den Weg ins Berliner Schlossparktheater nicht scheuen: 2 ½ Stunden exzellente Unterhaltung mit Beanspruchung des Zwerchfelles ist garantiert.

Manuela Kippes, Berlin, Okt. 04


AIDA

Colosseumtheater Essen, neue Cast (Oktober 04)

Nach einem Jahr Spielzeit des Musicals „AIDA“ stand jetzt im Essener Colosseumtheater ein Castwechsel an. Am 6. Oktober 04 hatte die 23jährige Judith Lefeber ihre Premiere als neue AIDA, zusammen mit Bernhard Forcher als Radames, Sean Parkins als Mereb und weiteren Castmitgliedern.

Judith Lefeber (Aida) & Bernhard Forcher (Radames)
Foto: Winfried Winkler
© STAGE HOLDING

Sie tritt in die Nachfolge von Florence Kasumba, die diese Rolle bei der deutschen Uraufführung mitgestaltet und geprägt hat. So unterschiedlich wie Kasumba und Lefeber sind, so unterschiedlich zeigt sich das auch in ihrem Spiel. Lefeber spielt die AIDA mit sehr viel Natürlichkeit und Wärme, was Nähe und Sympathie schafft. Gleichwohl vermittelt sie den Eindruck von Papas liebster Tochter die von allem was passiert, noch überrascht ist.
Die fünf Jahre ältere Florence Kasumba zeigte mehr Erhabenheit und Stolz, da kann Lefeber noch zulegen, schließlich ist sie ja auch eine Prinzessin. Aber keine Zweifel, sie wird mit jeder Vorstellung mehr und mehr in die Rolle wachsen.
Gesanglich ist Judith Lefeber Top. War sie beim Ende vom Manteltanzlied noch etwas zurückhaltend (das „schon genug“ hätte emotional befreiter sein können), so steigerte sie sich aber von Lied zu Lied und bei „so einfach, so schwer“ schließlich war sie bei sich angekommen. Sie hat eine bemerkenswerte kraftvolle dunkel gefärbte tiefe Stimme. Klasse!

Der Österreicher Bernhard Forcher als oberster Heerführer Radames strotzt von Beginn an voll Selbstbewusstsein, spielerisch wie auch gesanglich. Jeder Ton ist gleich 100%tig da, eine super Präsenz. Die Entwicklung zum durch die Liebe Geläuterten vollzieht er glaubwürdig und lässt viel Herz erkennen.

Das Maricel (als Amneris) und Kristian Vetter (als Zoser) weiterhin mit dabei sind, hat einen einfachen Grund: es gibt niemanden besseren für diese Rollen.

Markus Gründig, Oktober 04


The Beautiful Game

Jugend-Club-Theater am Staatstheater Wiesbaden, Premiere vom 5. September 04 im Kleinen Haus

Liebe ist stärker als der Hass

Zwei Tote, ein Krüppel, ein Terrorist, eine Auswanderung… das ist die Bilanz, was aus der einst erfolgreichen Belfaster Fußballmannschaft von 1969 geworden ist. So endet das Musical, das hoffnungsvoll und fröhlich beginnt und dann zunehmend problematisiert. Es gibt kein Happy End, keine Lösungen – aber Hoffnung und Mut für eine engagierte Zukunft.

“The Beautiful Game“ von Andrew Lloyd Webber (Musik) und Ben Elton (Buch & Texte) lief nur ein knappes Jahr in London (Sept. 2000 – Sept. 2001), für ein Webber Musical ist das nicht lang. Dies liegt aber nicht an der Qualität des Stücks, eher an seinem politischen Inhalt. Schließlich steht bei dem Stück der irische Bürgerkrieg zwischen Protestanten und Katholiken im Mittelpunkt, ein Thema, das  trotz aller Friedensbemühungen heute noch aktuell ist .

Wie für ein Musical typisch wurde das ernste Thema natürlich in eine nette, publikumsnahe Geschichte gepackt. Eine jugendliche Fußballmannschaft auf dem Weg zum Erwachsenwerden, inmitten des irischen Bürgerkriegs. Dazugepackt wurden drei Lovestorys und es gibt auch genug Gelgenheiten zum Lachen und Schmunzeln, wenn etwa John & Mary vor ihrem „ersten Mal“ ihreÄngste besingen.

Die eingängigen Melodien Webbers besitzen Ohrwurmcharakter. Die u.a. bei „Liebe ist stärker als der Hass“ (Let Us Love In Peace) eingesetzte irische Flöte erinnert emotional an „My Heart Will Go On“ aus dem Titanic Film.

Das Musical wurde schon bei der Uraufführung nicht mit einem spektakulären Bühnenbild ausgestattet. Die sonst übliche Verpflichtung für weitere Produktionen die Ursprungsinszenierung eins zu eins zu übernehmen, gibt es nicht. Auch gab es bei der Uraufführung keine großen Stars in den Hauptrollen, sondern viele junge unbekannte Darstellerinnen und Darsteller.

So ist das Stück geradezu prädestiniert für ein Jugendtheater, wie jetzt von dem Jugend-Club-Theater des Staatstheaters Wiesbaden, das das Musical in deutsch aufführt (Übersetzung Anja Hauptmann).
Die Wiesbadener „The Beautifull Game“- Produktion ist bereits die fünfte Zusammenarbeit vom Team Iris Limbarth (Regie, Choreografie), Frank Bangert(musikalische Leitung), Reinhard Wust(Bühnenbild) und Heike Ruppmann(Kostüme), herausgekommen ist eine der Intension des Musicals entsprechende Inszenierung.

Die Bühne ist bei weiten nicht so leer wie bei der Londoner Uraufführung. Abgesehen von den fest stehenden Gebäudeteilen an den Bühnenseiten werden die benötigten Kulissen wie Umkleidespinde, Bänke, Tresen, Bett und ein Auto nach Bedarf rein- und rausgefahren. Das Meisterschaftsspiel wird über eine zeitgemäße Videoleinwand eingespielt, die Fans auf der Bühne schauen begeistert zu. Die Liveband sitzt im Bühnenhintergrund.

Raum für große Choreografien gibt es nur wenige, vor allem die große Eröffnungsnummer „The Beautiful Game“ bietet Gelegenheit für tänzerische Einlagen.
Iris Limarth führt im schnellen Tempo durch die Handlung, setzt die lustigen Momente genauso wie die brutalen Momente mit viel Fingerspitzengefühl um. Dass ein Nackedei von der Dusche in den Umkleideraum läuft unterstreicht die lockere Atmosphäre, die auf der Bühne herscht.

Ein großes Ensemble spielt dieses „herrliche“ Spiel. Die Besetzung der Hauptrollen mit Daniel Kegler (John), Nina Vlaovic (Mary) und Christian Grammel (Thomas) ist eine gute Wahl. Sie überzeugen, auch wenn Daniel Kegler bei den Gesangsnummern noch zulegen kann. Hier ist Nina Vlaovic weiter (auch der Rolle nach ist sie ohnehin die rationalere, reifere von den beiden), mit großen Emotionen fühlt und leidet sie stellvertretend für alle mit, gibt dennoch nicht auf und singt deshalb am Ende:

zündet das Licht des Lebens an,
die Liebe lebt, auch wenn wir sterben,
gebt dieses Licht von Hand zu Hand…

Diese Mischung von ernstem Thema, Herz-Schmerz und vielen berührenden Momenten in Verbindung zu Webbers Musik macht Spaß und läßt die Zuschauer Anteil nehmen, dass die Taschentücher gezogen werden.

Markus Gründig, September 04


FMA – Falco Meets Amadeus

Premiere Mainz, 2. September 04 (Tour)

Hans Hölzel verstarb am 6. Februar 1998 bei einem Autounfall in der Dominikanischen Republik. Das Erbe, das er mit seiner Kunstfigur des „Falco“ hinterlassen hat, ist nicht nur unvergessen, sondern auch nach wie vor aktuell. Im Herzen seiner Fans lebt Falco weiter. Dass diese Fanschar nach wie vor groß ist zeigt auch die aktuelle Wiederaufnahmeproduktion der Musicalshow „FMA – Falco meets Amadeus“ in Mainz, die wegen der großen Nachfrage vom Elzer Hof in die größere Rheingoldhalle verlegt wurde. Dort wird bis zum 2. Oktober 04 gespielt, es folgen dann Stationen u.a. in München und Berlin.

“FMA-Falco meets Amadeus“ wird als Musical bezeichnet, es wird gesungen, gesprochen und getanzt, dabei ist es jedoch viel mehr. Wer einen freundlichen, klassischen und althergebrachten Musicalabend wie in einem Stadttheater erwartet, wird sich wundern. Denn diese Show ist anders. Schließlich war Falco ja auch eine eigensinnige Persönlichkeit.
Regisseur Elmar Ottenthal verbindet die Elemente Tanz, Musik und Spiel mit Video-Sequenzen, die dem ganzen Geschehen eine ganz andere, fast schon psychedelische Sphäre geben. Die große Videoprojektionswand im Hintergrund ersetzt nahezu ein Bühnenbild, gespielt wird auf der leeren Bühne davor, mit ein paar wenigen Requisiten wie einem thronähnlichen Stuhl oder einem Bett im Stile einer E-Gitarre. Mitunter kommen auch die an den Seiten befindlichen Stahlkonstruktionen zum Einsatz.

Dem nach Erfolg gierenden und süchtigen Falco wird ein noch größerer österreichischer Star zur Seite gestellt, Wolfgang Amdeus Mozart. Viele Falcohits werden gespielt (und einige Mozartsequenzen), dabei ist das ganze keine Nummernrevue, auch wenn die Bilder schnell wechseln. Anfangs etwas konfus, kommt die Show aber dann doch in eine Richtung, die das Leben Falcos auf der Spitze des Ruhmes mit Höhen und noch mehr Tiefen bis zu seinem Tod, eindrucksvoll zeigt.

Wie bei der Berliner Uraufführung (im Jahr 2000) wird auch in Mainz die Rolle Falcos vom Trierer Axel Herrig perfekt gespielt. Jetzt wie damals schafft er es, die Haare frisch gegelt, mit Sonnenbrille und dekadentem Siegerlächeln, Falco so glaubwürdig zu spielen, dass man glauben könnte, da steht Falco selbst auf der Bühne. Falco war nicht jedermans Liebling, wollte, konnte es gar nicht sein. Er selber sagte einst „“I waß, daß ich für viele Leute ein Brechmittel bin, aber Gottseidank, wenigstens etwas.“
Hans Hölzel s/Falcos große Liebe zur Poesie (er unterstützte im großen Maß die Wiener Schule für Dichtung) wird in den Sprechszenen am deutlichsten, die in schönster Versform daherkommen und für zusätzliches Schmunzeln sorgen, manchen Zuschauer aber auch ihrer Plattheit wegen nerven.

Prägt natürlich Falco/Axel Herrig den Abend, so können doch auch die anderen Hauptdarsteller ihr Können unter Beweis stellen.
Nicolaus Hagg als freundlicher und lebensfroher toter Geist Amadeus hat es einfacher, das Herz der Zuschauer zu erobern, ebenso Reinhard Peer als Josef.
Neu als fieser Manager ist der Brite Koffi Missah. Die Rolle wurde in Berlin von Martin Moss geprägt, Missah hat es schwer, gegen diese Vorgabe anzukommen. Er spielt den Jonny Klein mit großer Leidenschaft („Dance Mephisto“), aber ohne die beliebte Moss´ typische schwülstige Eleganz.
Die Frauen an Falcos Seite (Sandra Danyella, Gudrun SchadeIna, Nadine Wagler und als seine Mutter, Margarete Hamm) sind in dieser Show nette Begleitung, vom Buch aber nicht groß angelegt.

Ein großes Lob den Tänzern, die rastlos im Einsatz sind und von Anfang bis Ende locker leicht die vielen und oftmals schweren Schritte tanzen und zwischendurch noch ständig ihre Kostüme wechseln (die von Rokkoko bis Latex reichen). Leider wurden die Choreographien von Thorsten Krafft meist den Songs einfach nur zugestellt und sind nicht unmittelbar mit dem Geschehen verbunden, was sie dann als reine Zugabe zur Show erscheinen läßt (gefallen tun sie aber allemal).
Burkhard Driest (Autor) und Johnny Bertl (Komponist) gelang mit FMA-Falco meets Amadeus eine mehr wie interesante Umsetzung der Lieder Falcos in eine unterhaltsame Show, die nicht nur für eingefleischte Falcofans sehenswert ist.

Markus Gründig, September 04


Tango Pasión

Tango Tanz pur für zweieinhalb Stunden (inklusiv Pause) bietet die Show „Tange Pasión“, die noch bis zum 3. September 04 in der Alten Oper Frankfurt/M zu sehen ist .
Ist es die Sehnsucht nach Gefühlen, nach ausgefallenen Abenteuern, nach Romantik, die das bunt gemischte Publikum jedenAlters in den ausverkauften Saal getrieben hat?
Sieben Paare, das traditionsreiche Sexteto Mayor und die Sänger Vanessa Quiroz und Guillermo Galvé zaubern bei diesem Programm argentinische Stimmung in den großen Saal. Denn Tango ist nicht nur einfach Tanz, sondern er erzählt vom Leben, ist immer intensiv, leidenschaftlich, sinnlich und spannend zugleich.

Der ersten Teil zeigt auf höchstem Niveau die traditionelle Tanzkunst. Schlanke Tänzerinnen werden von ihren Tanzpartnern zu ständig neuen Höhenflügen geführt. Dabei sind ihre Beinschläge mitunter so schnell, das man kaum mit den Augen folgen kann. Die von Hector Zaraspe komplett durchchoreographierte Show bietet eine rasanet Folge von unterschiedlichen Szenen, grandiose Formationen wechseln mit beeindruckenden Solos ab.

Sinnlicher, dramaischer und mitreißender geht es vor allem im zweiten Teil der Show zu, der mit zeitgenössischen Interpretationen aufwartet ( und die Paare jetzt auch legerer gekleidet sind).
So reichen bei „Tanguera“ zwei schlichte Lichtkegel um die Annährung und die Gefühlswelt des Paares (Juan Corvalan & Viviana Laguzzi) deutich herauszustellen.
Die stimmungsvolle, punktgenaue Ausleuchtung (Fran Rodriguez) unterstreicht den Rausch an Sinnlichkeit und Perfektion.
Ein Highlight ist kurz vorm Schluss die Tanzszene, in der zunächst ein Paar hinter einem Gazevorhang tanzt und ihre Schritte auf den Vorhang projeziert werden.

Die Tanzszenen wechseln sich mit wunderschönen Solos des Sexteo Mayor und seufzenden Gesangseinlagen ab. José Libertella spielt das Solo Bandoneon, nicht nur bei „Adios Nonino“. 

Markus Gründig, August 04


African Footprint

Im Foyer des Mannheimer Nationaltheaters warten die Besucher auf den Beginn der Vorstellung. Noch bevor es im Saal richtig heiß wird, laufen einige African Footprint Musiker durch das Foyer und stimmen mit kräftigen Trommelschlägen auf das große Ereignis ein.
Das Theater im nüchternen Bauhaustil vermittelt keinerlei Gefühl oder Stimmung. So ist der Blick ganz auf die schwarze leere Bühne gerichtet, auf der zunächst lediglich ein großes farbiges African Footprint Logo von der Bühne hängt. Mit den ersten Trommelschlägen, den ersten Darstellern die aus dem Nebel entsteigen, ändert sich die Stimmung schlagartig und man vergisst nich nur alles um einen herum, sondern auch alle Alltagssorgen und sonstige Dinge, die im Kopf herumschwirren. Der Zauber, die Energie und die unbändige Lebensfreude begeistern von Anfang an.

African Footprint entstand anlässlich des zehnjährigen Ende der Apartheid und erzählt mit viel Tanz, Akrobatik und Gesang schemenhaft Entwicklungen der südafrikanischen Geschichte von Aufbruch, Hoffnung und Neubeginn. Die einzelnen Bilder zeigen beispielsweise einen Krieger, der Anspruch auf sein Erbe erhebt oder einen Streit mit einem Stammesangehörigen um eine Frau. Oder auch den Gesang des Feuers, als Dankgebet für die täglichen Reichtümer im ländlichen Dorfleben.
Ein Bühnenbild gibt es erst im zweiten Akt, der im Sophiatown der Neuzeit spielt und afrikanische Urklänge vom Sound eines Saxophones abgelöst werden. Originell ist die Szene, die die Fußballbesessenheit der Südafrikaner zeigt: hier Tanzen nicht nur die Darsteller, sondern auch die Fußbälle.
Mit artistischen Kunststücken in einem Wechsel von zeitlupenhaften, dann blitzschnellen Kampf treffen ein Schwarzer und ein Weißer zusammen um sich am Ende in einem Akt physischer und psychischer Balance die Hand zu reichen.
Zwischen und in den Szenen unterstützen die Sänger Montlafi Dooka, Gerry Malekane und Ronell Morgan die Handlung. Der englische Text ist jedoch leider aufgrund des Akzents nicht so leicht zu verstehen.

In stimmungsvollen Bildern und Farben tanzen die zwanzig Akrobaten oder sind es akrobatische Tänzer ? Die Übergänge sind fließend und auf alle Fälle sind sie allesamt einfach nur gut. Die Choreographien sind dabei vielseitig und ausgefallen, besonders in der „pas de trois“-Szene. Ganz nebenbei: es gibt auch viel nackte Haut und tolle Körper zu sehen.

Die Musik wechselt zwischen dem pulsierenden Klang der Trommeln, Flöten, dem Daumenklavier Mbira bis zum bereits erwähnten Saxophon. Der Mix zwischen der achtköpfigen Liveband und Playbackunterstützung ist stets gut abgestimmt.

Jeder Power-Step-Kurs eines Fitnessstudios ist gegen das, was die African Footprint Truppe in dieser 90minütigen Show vorführt, eine lahme Ente. Hut ab vor dieser Leistung, die nicht nur beeindruckt sondern auch zum Frohsinn anstiftet. Standing Ovations am Ende der ausverkauften Mannheimer Premiere waren dann natürlich nur zu selbstverständlich.

Markus Gründig, August 04


Hello, Dolly!

Bavarian Broadway

Den Titel „Hello, Dolly! kennt fast jeder, nicht zuletzt durch die Filmversion mit Barbara Streisand. Gesehn haben das Stück vor allem aber die Vertreter der älteren Generation. Trotz seines Bekanntheitsgrades taucht es im Vergleich zu anderen älteren Musicals, nur sehr unregelmäßig in den Theaterspielplänen auf, ganz im Gegensatz zum Anatevka oder Evita zum Beispiel. Mit Grund hierfür ist auch, dass das Musical ein großes Ensemble und eine große Bühne benötigt.
Das Münchener Staatstheater am Gärtnerplatz brachte das Musical als Münchener Erstaufführung bereits 1964 auf die Bühne, die aktuelle Neuinszenierung feierte am 16. Dezember 2001 Premiere. Am vergangenen Montag (19. Juli 04) verabschiedete sich „Hello, Dolly!“ in die Sommerferien.

Um es kurz vorweg zu sagen: die Inszenierung von Stefan Huber ist ein „must-see“ für Musicalfans. Die unterhaltsame Vorlage von Jerry Herman (Musik & Song-Texte) und Michael Stewart (Buch) wurde hervorragend und sehr elanvoll umgesetzt: neben einer starken Besetzung gibt es tolle Bühnenbilder, wunderbare Kostüme, beeindruckende Ensemble- und Tanzeinlagen, … und dies in einem Stadttheater! Nicht umsonst wird Hello, Dolly! auch in der Saison 2004/05 im Staatstheater am Gärtnerplatz gespielt werden.

Wenn sich zu Beginn der Vorhang hebt, steht das Ensemble zentriert auf der leeren Bühne, buntes Treiben setzt ein und dann schwebt auch schon Mrs. Dolly Levi (Marianne Larsen) effektvoll mittels eines großen Ballon auf die Bühne herunter. Die Bühnentechnik wird in dieser Inszenierung stark genutzt und vermittelt einen Eindruck, als hätte das 21. Jahrhundert in das ehrwürdige Theater am Gärtnerplatz Einzug gehalten. Dabei sind es die ganz normalen Dinge, die geschehen: Bühnenelemente werden gehoben oder versenkt, die Drehbühne und Seilzüge stark einbezogen. Ob es nun die Central Station in New York ist, die mittels Auf- und Abgängen und einer Vielzahl an Uhren angedeutet wird, oder der Laden Vandergelds oder Molloys Hutladen, die Bilder erscheinen im fließenden Wechsel. Die dezente und warme Ausleuchtung von Georg Boeshenz verstärkt die schöne Atmosphäre.
Im Harmonia Garden-Restaurant gibt es die obligatorische große Showtreppe, die Dolly und ihre bewundernden Kellner gut zu nutzen wissen. Hier hat sie ihren großen Auftritt, letztlich sind es aber die Kellner die mit ihrem Gesang und Tanz der Szene die Größe geben (Choreografie: Ricarda Regina Ludigkeit).
Später zerfällt die Treppe und deutet das entstandene Chaos an, dient dann gleichzeitig als Gerichtssaal, eine gute Idee.

Larsen gibt die Mrs. Dolly Levy elanvoll, sehr selbstbewußt, erwachsen, und doch mit viel Gefühl, nicht zuletzt bei ihren Gespärchen mit dem verstorbenen Ehemann. Dirk Lohr als Heu- und Futtermittelhändler Horace Vandergelder (Dirk Lohr) überzeugt mit kräftiger Stimme und macht seiner Rolle als mürrischer Geizhals volle Ehre. Am Ende schafft er die Kurve und erklärt Dolly liebevoll „Es kann oft ein Moment sein“ …
Viel Spaß vermitteln Daniel Prohaska und Oliver Polster als Angestellte Vandergelds Hackl & Tucker.

Stefanie Dietrich als Hutmacherin Irene Molloy sprüht nur so vor ansteckender Energie, was auch auf Thérèse Wincent als Verkäuferin Minnie Fay positiv abfärbt. Herrlich durchgeknallt: Rotraut Arnold als Ernestina. Mit schönem Gesang aber ohne Möglichkeit sich so stark profilieren zu können: Adam Sanchez als hübscher Künstler Ambrose Kemper und „Heulsuse“ Olivia Pop in der Rolle von Vandergelds Nichte Ermengarde.

Die aufwendigen Kostüme von Ulrike B. Radichevich werden zum Teil erst auf der Bühne angezogen, fast schon provokatorisch.

Unter der musikalischen Leitung von Eva Pons wurde das Musical mit flotten Tempo gespielt. Langeweile kommt zu keiner Zeit auf. Trotz dem Alter, das das Stück schon hat und obwohl diese Inszenierung keine moderne, zeitgemäße Inszenierung ist, überzeugt sie schlicht durch ihr hohes Niveau – in allen Bereichen, bietet Glitter und Glanz.

Markus Gründig, Juli 04


Evita

Burgfestspiele Bad Vilbel 2004

Geboren als uneheliches Kind in der argentinischen Provinz, erlebte Evita Duarte eine beispiellose Karriere. Trotz aller Berühmtheit war sie stets eine streitbare Person: einerseits Wohltäterin mit großem Engagement für die Unterprivilegierten und Bedürftigen, andererseits die Verruchte, die sich zur Ehe mit Perón durch die Betten gearbeitet hat. Hure und Heilige in einer Person.
Sie nahm Ihr Schicksal in die eigene Hand und schaffte den Weg heraus aus den einfachen Verhältnissen, bis hin zur Präsidentengattin.

Ein gutes Thema für ein Musical. Im Jahr 1978 wurde es uraufgeführt (wobei die LP-Vorabveröffentlichung von1976 in Argentinien sogar verboten wurde). Den großen internationalen Durchbruch schaffte schließlich die erstklassige Musicalverfilmung mit Madonna in der Hauptrolle.
Bereits in der Sommersaison 2003 wurde EVITA bei den Burgfestspielen in Bad Vilbel aufgeführt und jetzt im Sommer 2004 aufgrund des großen Erfolgs erneut aufgenommen.

Das Musical vom Gespann Webber(Musik) und Rice (Texte) ist groß angelegt, mit vielen verschiedenen Schauplätzen. Eine große Bühne für ein solches Vorhaben steht in der kleinen Burgruine von Bad Vilbel nicht zur Verfügung. So mußten sich Egon Baumgarten (Regie) und Thomas Peckny (Bühne) einiges einfallen lassen, um die Vorlage passend umzusetzen. Das Bühnenbild besteht lediglich aus einer großen, doppelflügigen Garage, gelb angestrichen. Darüber ist das Orchester platziert, der Rand zur Bühne stellt Evita & Juan Perón´s Balkon auf der Casa Rosada dar.
Die Garage dient zugleich als Requisitenlager, aus der immer wieder Gegenstände ein-. bzw. ausgefahren werden. So können keine kompletten Bilder entstehen, vielmehr bleiben die Orte nur abstrakt angedeutet und sind ohne Vorkenntnisse nur Dank Che´s Hinweisen erkennbar.

Die Reduzierung läßt dafür Platz für ein großes Ensemble. Nicht nur groß im Sinne von fast 50 Personen, sondern auch von der Leistung her, was sich insbesondere bei den großen Ensemblenummern wie bei „Buenos Aires“ zeigt. Unter der Choreographie von Michael Schmieder zeigt das Ensemble fetzige und perfekt abgestimmte Tanzszenen, bei denen das Zuschauen richtig Spaß macht und richtige Latino-Stimmung aufkommt. Sie tanzen voller Leidenschaft, mit ganzem Körpereinsatz. Dabei sind sie stets in schwarzen Hosen mit weißen Trägershirts bekleidet, was die Nüchternheit der Inszenierung zusätzlich unterstützt.

Kenneth Derby in der Rolle des Perón kann soviel Lebenslust nicht vermitteln, zu vorgefertigt ist die Rolle des gegenüber Evita 24 Jahre älteren Perón. Gleichwohl spielt er den vor Liebe zu Evita verblendeten Machthaber Perón so natürlich, dass einem dies gar nicht wie gespielt vorkommt.

Peróns Geliebte (Sara Fonseca) hat leider nur einen kurzen Auftritt, den sie aber erstklassig darbringt: ihr „Wohin soll ich jetzt gehn“ singt sie mit kräftiger Stimme und gefühlsvollem Ausdruck. Gerne würde man mehr von ihr hören.

Mit einem herrlich schwülstigen Lächeln im Gesicht ist stets Alexander Nikolic als Agustin Magaldi präsent und brilliert souverän, wenn er von der sternenklaren Nacht singt und nicht nur Evita in seinen Bann zieht.

Diabolisch schwarz gekleidet und als Ankläger Evitas Geschichte erzählend und kommentierend: Matthias Pagani als Ché Guevara. Leidenschaftlich, mit starker Mimik und großer Bühnenpräsenz lenkt er immer wieder die Aufmerksamkeit des Publikums auf die historischen Hintergründe und Widersprüchlichkeiten des Aufstiegs des Ehepaares Perón.
„Jung, schön und geliebt“ singt er überraschend leicht und unbeschwert: so wunderschön süßlich, wie Liebe eben nur sein kann.

Hauptperson der Aufführung ist natürlich Evita selber, hier gespielt von Sanni Luis. Ist Luis auch von kleiner und zierlicher Statur, stellt sie die Entwicklung der jungen, ausgestoßenen Evita zur machtgierigen, Männer benutzenden „primera dama“ glaubwürdig dar.
Kein Wunder, dass Evita als zweite Frau Peróns von der oberen Gesellschaft Argentiniens gemieden wurde. Ihre umfassenden Wohltätigkeiten und Engagements haben dahinter anzustehen. Luis spielt sie berechnend, willensstark, kämpfend bis zum Schluss. Dabei singt sie „Wein´ nicht um mich, Argentinien“ ruhig und gefühlsvoll, der Szene angemessen. Gänsehaut zaubert sie bei der letzten Fernsehansprache hervor, angesichts der Unabwendbarkeit ihres nahenden Todes.

Das Orchester unter der Leitung von Andrea Simmendinger hebt bei diesem als Rock Oper betitelten Musical mehr die melodiöse Seite hervor und trägt so mit zu einem unterhaltsamen Abend bei.

Am Ende starker Applaus für eine starke Besetzung.

Markus Gründig, Juli 04


Der Mann von La Mancha

Staatstheater am Gärtnerplatz, München
Besprechung der Premiere vom 27. Juni 04

Fast vierzig Jahre alt ist das Musical „Der Mann von La Mancha“, ein alter Schinken in der relativ jungen, oftmals kurzlebigen, Musicalwelt. Allem bühnentechnischem Hokuspokus neuerer Musicals zum Trotz, behauptet es sich als schlichter Musicalklassiker und wird immer wieder gerne in den Spielplan der Theater aufgenommen. Ist doch die auf dem Musical beruhende Geschichte des spanischen Dichters Miguel de Cervantes Saavedra von Don Quixote, dem „Ritter von der traurigen Gestalt“ ein Stück Weltliteratur, ein Monument menschlicher Gescheitheit und Narrheit.

Der Mann von La Mancha
Staatstheater am Gärtnerplatz, München
Don Quijote (Bruno Jonas) & Sancho Pansa (Gunter Sonneson)
©Anita Pinggera & Staatstheater am Gärtnerplatz

Das Münchener Staatstheater am Gärtnerplatz hat für die Neuinszenierung dieses Klassikers den Kabarettisten Bruno Jonas für die Regie verpflichtet. Jonas spielt zugleich die Hauptrolle des Cervantes/Don Quijote.
Herausgekommen ist eine erfrischende, spaßige und natürlich deutlich kabarettistisch gefärbte Aufführung. Beispielsweise wenn gleich am Anfang Cervantes über eine hohe rote Treppe unten im Gefangenenlager angekommen ist und fragt, ob der Ackermann auch hier sei. Oder ob hier jemand wegen Parteienfinanzierung säße. Auch Yoda, Luke Starwalker, Obi Baumarkt und Klosterfrau Melissengeist, Ossis und Viagra aus der Flasche u.v.m. sind Begriffe, die geschickt eingearbeitet wurden und stets gut passen. Das selbst das Musical nicht so ernst genommen wird, zeigt sich auch im Dulcinea Lied, wenn plötzlich kurzfristig die Maria aus der West Side Story angebetet wird, oder später Kant zitiert wird, der doch noch gar nicht lebte. Derartige Einlagen gibt es fortlaufend, so daß das Zuhören zum wahren Genuß wird.
Mit der Mehrfachvergewaltigung Dulcineas (im Schattenspiel) hält ein tragischer Moment Einzug und bei der Sterbeszene schließlich ist im Zuschauerraum großes Schluchzen angesagt, so ergreifend wird das Spiel im Spiel erlebt.

Ein dickes Lob an Bruno Jonas, der dem Musical eine noch lustigere, unterhaltsamere Note gegeben hat und von der sonst schweren Last befreit hat. Der Musicalbesucher dankt es ihm, auch wenn Jonas sich von der Intension des Originals entfernt, das Thema Wirklichkeit und Traum sowie Don Quijote´s Phantasien nicht so sehr in den Mittelpunkt stellt. Als Schauspieler bleibt er sich selbst treu, sein kabarettistisches Ich legt er zu keiner Zeit ab. Gesanglich schlägt er sich wacker, mehr wird von ihm hier auch nicht erwartet.
An seiner Seite als getreuer Diener / Gefährte Sancho Pansa mit stets einem Spruch parat, Gunter Sonneson. Die gebürtige Dänin Marianne Larsen gibt die Magd Aldonza / Dulcinea zunächst als energisches, rauhes und wildes Weibsbild, das die Männer heiß macht, später dann verletzt, zerbrochen und stets mit großartigem Gesang. Dazu ein großes Ensemble, das Orchester spielt unter der musikalischen Leitung von Andreas Kowalewitz.
Ein großer Gewinn für die Aufführung sind zudem die tanzenden Maultiertreiber, die unter der Choreographie von Ramses Sigl viel Pep und Schwung in die Aufführung hinein bringen.

Das Einheitsbühnenbild von Heinz Hauser zeigt einen bühnengroßen, leeren Raum: stets das Gefangenenlager, in dem die Abenteuer Don Quijotes stattfinden. Die in die Freiheit führende überdimensionale rote Treppe wird während der Spiel im Spiel-Handlung nach oben gefahren und schwebt gleichsam der ständigen Präsenz der Aufseher, ständig über dem Raum. Nur für die Gefängnisaufseher wird sie herabgelassen. Eine gute Lösung, um die beiden Handlungsebenen deutlich voneinander zu unterscheiden.
Wechselnde Hintergrundbilder, zum Teil Schattenspiele sorgen mit dem dezenten Licht von Georg Boeshenz für eine stimmungsvolle, dunkel gefärbte Atmosphäre, die jedoch nicht in die Düsterheit führt. Die an den Originalstoff angelehnten Kostüme stammen von Zwinki Jeannée.

Für Don Quijote ist es Wahnsinn, das Leben so zu sehen, wie es ist. Mut zum Träumen ist also angesagt, denn Träume geben dem Leben Leben.

Markus Gründig, Juni 04