Lange Schlangen an der Abendkasse gibt es nicht so oft, ist ein Opernbesuch doch in der Regel keine spontane Entscheidung vieler. Und auch die Möglichkeit, Eintrittskarten über das Internet bequem von zu Hause zu bestellen, verringert den Andrang. Aber wenn sich in der Stadt scheinbar wie im Lauffeuer herumgesprochen hat, dass ein außerordentliches Opernhighlight gegeben wird, stürmt das Publikum auch die Abendkasse. So bei dieser besuchten Vorstellung einer konzertant vorgetragenen La traviata. Dabei sollte eigentlich eine andere Verdi Oper gegeben werden, seine revolutionär bewegte und während seiner Galeerenjahre entstandene Oper Il corsaro. Durch krankheitsbedingte Absagen beteiligter Sängerinnen (Dorothea Röschmann und Roberta Mantegna) konnte für die selten gespielte Oper kurzfristig kein adäquater Ersatz gefunden werden. Und so machte die Oper Frankfurt aus der Not eine Tugend. Statt Il corsaro wurde eine Woche vor den geplanten Aufführungen bekanntgegeben, stattdessen La traviata konzertant zu geben. In Frankfurt war die Inszenierung von Axel Corti aus dem Jahre 1991 bis Januar 2013 im Repertoire. So bestand jetzt keine Möglichkeit einer kurzfristigen szenischen Aufführung (die es aber ja vielleicht in einer Neuinszenierung in einer der nächsten Spielzeiten geben wird).
Und mit der zufällig gerade zur Verfügung stehenden Sopranistin Brenda Rae, die derzeit für die nächste szenische Produktion der Oper Frankfurt, Vincenzo Bellinis I puritani (Premiere: 2. Dezember 18) probt, bot sich die Gelegenheit, die Rolle der Violetta Valéry prominent zu besetzen. Rae, ehemaliges Ensemblemitglied der OperFrankfurt, ist noch in den Herzen vieler fest verankert (u. a. wegen ihrer atemberaubenden Amina in La sonnambula) und mit der Rolle der Violetta ist sie seit vielen Jahren vertraut. Und mit den ohnehin für Il corsaro angekündigten ehemaligen Ensemblemitgliedern Mario Chang und Željko Lučić versprach der Abend schon im Voraus, ein besonderes Erlebnis zu werden.
So war dann auch die freudige Erwartungshaltung des Publikums schon in den Gängen deutlich zuspüren und als sich dann die Saaltüren schlossen, erfüllte eine zu spürende außergewöhnliche Energie Saal und Bühne gleichermaßen.
Das Schicksal der Kurtisane Violetta Valéry, ihre tief empfundene große Liebe zu Alfredo, die letztlich selbst dessen Vater nicht dauerhaft verhindern kann und ihr viel zu früher Tod an Tuberkulose, hat Verdi einfühlsam vertont. Kein Wunder, dass La traviata zu den beliebtesten und am häufigsten aufgeführten Opern gehört. Am Pult des Frankfurter Opern und Museumorchesters war bei den konzertanten La traviata-Aufführungen erstmals der italienische Dirigent Francesco Lanzillotta zu erleben. Er gab einen starken Einstand, mit viel Gespür für die melodramatischen Momente (dabei Dirigentenstab und Hände und Finger gleichermaßen einsetzend).
Beeindruckend klangstark (ohne angestrengt zu wirken), der von Tilman Michael einstudierte Chor der Oper Frankfurt (trotz wenig Zeit der Vorbereitung).
Obwohl es sich nur um eine konzertante Aufführung handelte, präsentierte Brenda Rae die Violetta mit einer Innigkeit, die nah an einer szenischen Aufführung lag und für feuchte Augen beim Publikum sorgte. Wieder einmal bewies sie ihre stupende Gesangstechnik mit ausgeprägter Legato- und Pianokultur (bei der selbst ein leises Hauchen zum Ereignis wird) und strahlenden Koloraturen.
Bariton Željko Lučić ist inzwischen an allen großen Bühnen der Welt zu Hause, umso schöner, dass er der Oper Frankfurt/dem Frankfurter Publikum die Treue hält. Die Partie des Vaters Giorgio Germont hatte er erstmals an der Oper Frankfurt verkörpert und inzwischen zur Perfektion gebracht: mit einem stattlichen noblen Format und immenser stimmlicher Autorität.
Tenor Mario Chang ist inzwischen in den Opernhäusern zwischen Ost- und Westküste der USA engagiert (er war bis zur vergangenen Spielzeit Ensemblemitglied). Auch er vermittelte seine Figur, den in sich zerrissenen Studenten Alfredo Germont, weit über ein konzertantes Format hinaus. Dramatische Ausdruckskraft verbindet er gekonnt mit lyrischen Schmelz.
Das Trio Brenda Rae, Mario Chang und Željko Lučić betörte von Anfang an und auch die kleineren Rollen mit Besetzungen aus dem Ensemble fügten sich dem hohen Niveau hervorragend an: Nina Tarandek (Flora Bervoix), Elizabeth Reiter (Annina), Michael McCown (Gaston, Vicomte vonLetorière), Iain MacNeil (vom Opernstudio; Baron Douphol), Brandon Cedel (Marquis d’Obigny), Magnús Baldvinsson (Doktor Grenvil), Matthew Swensen (Giuseppe, Diener Violettas / Ein Bote) und Isaac Lee (Bediensteter bei Flora).
Am Ende riss es dann schnell fast das gesamte Publikum von den Stühlen: Standing Ovations und langer, kräftiger Beifall.
Markus Gründig, November 18
La traviata
Von: Giuseppe Verdi
Konzertante Aufführungen an der Oper Frankfurt: 7. und 9. November 18
Besuchte Vorstellung: 9. November18
Musikalische Leitung: Francesco Lanzillotta
Chor: TilmanMichael
Violetta Valéry: Brenda Rae
Alfredo Germont: Mario Chang
Giorgio Germont, sein Vater: Željko Lučić
Flora Bervoix: Nina Tarandek
Annina: Elizabeth Reiter
Gaston, Vicomtevon Letorière: Michael McCown
Baron Douphol: Iain MacNeil
Marquis d’Obigny: Brandon Cedel
Doktor Grenvil: MagnúsBaldvinsson
Giuseppe, Diener Violettas / Ein Bote: MatthewSwensen
Ein Bediensteter bei Flora: Isaac Lee
Chor der OperFrankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
www.oper-frankfurt.de