»Dracula«-Bearbeitung von Johanna Wehner am Schauspiel Frankfurt uraufgeführt

Dracula ~ Schauspiel Frankfurt ~ Ensemble ~ Foto: Arno Declair

Ende des 19. Jahrhunderts erschien Bram Stokers Roman Dracula. Der berühmteste Beitrag zur Vampirliteratur sorgte schon früh für Filmadaptionen. Gleichwohl gibt es enorm große Unterschiede zwischen dem Roman und den Filmen. Die Szenen im transsylvanischen Schloss des Grafen kommen im Roman lediglich zu Beginn und am Ende relativ kurz vor. Der größte Teil der sich über eine halbes Jahr spannenden Handlung (3. Mai – 6. November) spielt in England (in der Küstenstadt Whitby und in London). Die Figur des Grafen ist dabei nur marginal präsent. Dafür gibt es weitere Figuren, wie den psychisch kranken Renfield (laut des ihn betreuenden Arztes Dr. Seward ein Zoophagus – Fresser von lebenden Wesen),

Das Monströse in der Gesellschaft

Eine Besonderheit des Romans ist sein Aufbau. Er besteht aus Tagebucheinträgen, Phonographeneinträgen und Briefen der Figuren (neben einer handvoll Logbucheinträgen, Telegrammen und Zeitungsmeldungen). Für eine Dramatisierung auf der Bühne bietet er sich nicht unmittelbar an. Der Glaube an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt wird im Roman mit dem Übernatürlichen konfrontiert. Die Interpretationsansätze sind vielfältigster Natur. Psychoanalytisch kann der Vampirismus als Ausdruck unterdrückter sexueller Wünsche verstanden werden, als Symbol des verdrängten Ichs u.v.m.
Regisseurin Johanna Wehner hat ihn für ihre Inszenierung am Schauspiel Frankfurt, wie sie im Podcast „VORGEHÖRT – Das Gespräch zum Stück“ ausführt, erst einmal in 1000 Fragmente zerlegt und sodann aus ausgewählten „Entdeckungen“ eine eigene Fassung erstellt. Vieles im Roman sehr ausführlich Beschriebenes entfällt dadurch oder wird nur kurz angerissen. Insoweit ist Wehners Fassung ein Parforceritt durch die Dracula-Geschichte. Was Wehner aber erwähnt, ist sehr nah am Original. Es gibt nur wenige Fremdtexte. Sie hinterfragt die Aussagen (wie „Alles ist gut“, wenn offensichtlich nicht alles gut ist) und sucht das Monströse nicht in der Figur des Grafen, sondern in der Gesellschaft. Wer ist hier fanatisch? Wer entscheidet was richtig ist? Wer entscheidet was gerecht ist? Etwas Gruseliges ist durchaus entstanden, gleichwohl darf man nicht erwarten, eine Verfilmungskopie auf der Bühne zu erleben.

Dracula
Schauspiel Frankfurt
Ensemble
Foto: Arno Declair

Schon optisch wird viel geboten. Hohe Fragmente eines zerstörten Hauses mit einem fürstlichen Treppenaufgang (mit blutrotem Teppich belegt), zerborstenden Decken, hohe Fenster und eine ebensolche Türanlage, stehen imposant auf der von Benjamin Schönecker entworfenen Bühne. Es ist eine gelungene Symbiose zwischen Schloss und Carfax (einem der verfallenen Häusern, die der Graf in London besitzt). Darin steht ein Getränkeautomat als Brücke zur Gegenwart (auch wenn es hier keine unmittelbare zeitliche Zuordnung gibt). Seitlich deutet das Fragment eines offenes Badezimmer Dr. Sewards Anstalt an (Bühne: Benjamin Schönecker). Die Kostüme von Ellen Hofmann spielen vage mit dem postviktorianischen Zeitalter.

Dracula
Schauspiel Frankfurt
Ensemble
Foto: Arno Declair

Choreografierte Umsetzung

Johanna Wehners Umsetzung ist bewegungsreich, differenziert und musikalisch. Der Beginn gleicht mit seiner Fröhlichkeit eher einer flotten Nummer aus The Addams Family, denn einem Schauerdrama. Wenn die Briefe erzählt werden (frontal zum Publikum gesprochen), kommentiert das Ensemble mit Worten und Gesten. Alle sieben Darsteller:innen sind sehr präsent und bringen sich singend, tänzelnd und ernst vortragend ein. Teilweise wirkt es gar etwas slapstickhaft. So luftig leicht wie die einzelnen Auf- und Abtritte und das sich fallen lassen wirken, dürfte es seine Zeit gebraucht haben, dies so fließend durchchoreografiert hinzubekommen. Der Kanon „Froh zu sein bedarf es wenig“ diente als Basis für drei „Hausmusiken“, die vom Ensemble gesungen werden (die Liedtexte sind im Programmheft abgedruckt). Zusätzlich untermalt ein dezenter Soundteppich das Geschehen (Musik: Vera Mohrs und Kostia Rapoport).

Der Graf Dracula des Matthias Redlhammer ist ein nachdenklicher, desillusionierter und gerne verbal auftrumpfender Streiter, eher ein Wüterich, kein Monster. Den Vampirismus erfahrenen Professor Abraham van Helsing gibt Heidi Ecks angriffsfreudig. Seinen ehemaligen Studenten und nunmehr Arzt mit eigener Klinik, Dr. John Seward, zeichnet Stefan Graf energetisch und facettenreich. Einen gelungenen Einstand als neue Ensemblemitglieder geben Christoph Bornmüller (der durch ein Gefühlschaos gehende junge Rechtsanwalt Jonathan Harker) und Arash Nayebbandi (als sich sorgender Arthur Holmwood). Caroline Dietrich ist eine authentisch wirkende, selbstbewusste Mina Murray (Harker) und Judith Florence Ehrhardt die gleich von mehreren Männern begehrte und schlafwandelnde Lucy Westenra.

Am Ende kräftiger und lang anhaltender Applaus für alle Beteiligte.

Markus Gründig, Oktober 23


Dracula

Von: Johanna Wehner nach Bram Stokers gleichnamigen Roman

Premiere: 27. Oktober 23 (Schauspielhaus)

Regie: Johanna Wehner
Bühne: Benjamin Schönecker
Kostüme: Ellen Hofmann
Musik: Vera Mohrs, Kostia Rapoport
Dramaturgie: Katja Herlemann
Licht: Ellen Jaeger

Besetzung:

Dracula: Matthias Redlhammer
Abraham van Helsing: Heidi Ecks
Jonathan Harker: Christoph Bornmüller
Mina Murray (Harker): Caroline Dietrich
Lucy Westenra: Judith Florence Ehrhardt
John Seward: Stefan Graf
Arthur Holmwood: Arash Nayebbandi
R. M. Renfield: Christoph Bornmüller, Caroline Dietrich, Judith Florence Ehrhardt, Arash Nayebbandi

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