Ende 2019 wurde an den 100. Geburtstag des Komponisten Mieczysław Weinberg gedacht. Er wurde am 9. Dezember 1919 im polnischen Warschau geboren. Den größten Teil seines Lebens verbrachte er in Moskau, wo er auch 1996 gestorben ist. In Russland entstand der Großteil seines umfangreichen musikalischen Oeuvres, darunter 22. Sinfonien, 17 Streichquartette, 9 Konzerte und 7 Opern. Seine 2010 bei den Bregenzer Festspielen szenisch uraufgeführte Oper Die Passagierin machte die Musikwelt auf ihn aufmerksam. Die Produktion war anschließend u. a. in Warschau, London und Houston zu sehen. Inzwischen gab es zudem zahlreiche Neuinszenierungen (wie in Karlsruhe, Frankfurt/M, Gelsenkirchen und Altenburg-Gera).
Weinberg-Schwerpunkt am Leipziger Gewandaus
Das Leipziger Gewandhaus widmete Mieczysław Weinberg Anfang 2020 einen Schwerpunkt. Ein Teil davon bildeten zwei Konzerte im Februar: Der Violinist Gideon Kremer, seit Langem der Wiederentdeckung und Pflege von Weinbergs Musik verschrieben, führte an zwei Abenden mit dem Gewandhausorchester unter der Leitung von Daniele Gatti Weinbergs Konzert für Violine und Orchester in g-Moll (op. 67) auf. „Eine Sternstunde der Weinberg-Konzerte“ urteilte Dietrich Bretz von den Westfälischen Nachrichten. Das Violinkonzert wurde für die jetzt bei Accentus Music erschienene Einspielung live aufgenommen.
Das Violinkonzert beeindruckte schon Schostakowitsch
Dimitri Schostakowitsch, mit dem Weinberg eine enge Freundschaft pflegte, äußerte sich gegenüber Isaak Glikman sehr wohlwollend über dieses Konzert. Weinberg vollendete es 1959, während seiner kreativsten und erfolgreichsten Phase der 1950er-Jahre.
Das knapp vierzigminütige Werk besteht aus vier Sätzen (Allegro molto, Allegretto, Adagio und Allegrio risoluto) und zeugt damit von einem sinfonischen Anspruch. Weinbergs Musik ist eine verhaltene Klage, mit Derbheit und Schwermut gefüllt, verliert sich aber nicht darin. Mit großer Emotionalität und Komplexität beinhaltet sie auch eine „versöhnliche Botschaft der Hoffnung (Tobias Niederschlag). Dem Gewandhausorchester, unter dem italienischen Dirigent Daniele Gatti, gelingt es dieses vielschichtige Werk (intime Töne, brachiale Ausbrüche) in all seinen Schattierungen aufzufächern. Im Mittelpunkt steht natürlich Gideon Kremer, der dieses Konzert schon lange in seinem Repertoire hat und sich damit sehr gut auskennt. So hebt er insbesondere die introvertierten Momente wunderbar plastisch hervor und spielt die rhythmische Wildheit energiegeladen aus. Die Fragezeichen, die der Komponist in dieses Konzert eingearbeitet hat, kann jeder Zuhörer für sich selbst beantworten.
Zusatz: Sonate für zwei Violinen
Die Einspielung wird ergänzt um die ebenfalls 1959 entstandene Sonate für zwei Violinen (op. 69), eine überaus anspruchsvolle, circa 18-minütige Komposition. Sie ist eine faszinierende Ergänzung. Hierbei begleitet Gideon Kremer die lettische Geigerin Madara Petersone (Konzertmeisterin der Kremerata Baltica, dessen Leiter Kremer seit dessen Gründung ist). Die dreisätzige Sonate (Allegro molto, Adagio, Allegro) wurde im Dezember 2019 im litauischen Studio Paliesius aufgenommen.
Hochwertige Verpackung
Die CD kommt mit einem hochwertigen Schuber mitsamt 48-seitigem Booklet. Es bietet in drei Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch) Werkinformationen von Tobias Niederschlag (Leiter Konzertbüro des Gewandhausorchesters) und ein Gespräch zwischen Gideon Kremer und Tobias Niederschlag, sowie einige Bilder, die während der Aufnahmen entstanden sind. Die Einspielung und das Booklet sind auch digital erhältlich. Sie ist ein weiterer großer Wurf auf Weinbergs vielseitiges Oeuvre.
Markus Gründig, Januar 21
Mieczysław Weinberg:
Concerto for Violin and Orchestra, Op. 67
Sonata for Two Violins, Op. 69
Gidon Kremer, Violine
Gewandhausorchester Leipzig
Daniele Gatti, Dirigent
Madara Petersone, Violine
Katalognummer: ACC30518 (CD)
Gesamtspielzeit: 51:04
Coverbild von Dieter Ladewig
accentus.com