Musical »Ku’damm 59« rockt die Schöllack-Saga weiter

Ku’damm´ 59 ~ Stage Theater des Westens ~ Monika (Celina dos Santos) und Ensemble ~ © Dominic Ernst

Die Kritiken der Fachpresse zur Musical-Uraufführung von Ku’damm 56 im Jahr 2021 waren etwas durchwachsen. Dem zum Trotz entwickelte sich das Musical von Annette Hess, Peter Plate und Ulf Leo Sommer zu einem Publikumsrenner mit über 500.000 Zuschauern. Zudem wurde es viermal, unter anderem als „Bestes Musical“, mit dem Deutschen Musical Award ausgezeichnet.

Jetzt feierte die Fortsetzung Ku’damm 59 seine Uraufführung. Natürlich erneut im Berliner Stage Theater des Westens. Für das Duo Peter Plate und Ulf LeoSommer ist es nach Ku’damm 56 und Romeo & Julia – Liebe ist alles die dritte Produktion.

Tiefgehender als sein Vorgänger

Ku’damm 59 schafft den schwierigen Spagat, ernste Themen mit viel Energie und Spaß unterhaltsam zu vermitteln. Dabei wirkt es insgesamt tiefgehender als sein Vorgänger. Ist gleichzeitig aber auch offener, kritischer und bietet mehr Bezüge zur Gegenwart (Regie: Christoph Drewitz).

Ku’damm 59
Stage Theater des Westens
Monika (Celina dos Santos), Freddy (Mathias Reiser) und Ensemble
© Dominic Ernst

Auch 1959 war die Rolle der Frau noch eine ganz andere als heute. Eine alleinerziehende Mutter stellte einen Skandal dar. Homosexualität war verboten und gesellschaftlich geächtet. Die Aufrüstung nahm Fahrt auf, während die Friedensbewegung noch in den Kinderschuhen steckte. Ku’damm 59 Das Musical schafft es mit viel Witz und einer gewissen Leichtigkeit scheinbar mühelos auf derartige Themen einzugehen, ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben. Die Cast ist mit enormer Spielfreude dabei. Die dynamischen Choreografien Jonathan Huors beleben zusätzlich das szenische Geschehen.

Die Songs von Peter Plate und Ulf Leo Sommer haben ihre ganz eigene musikalische Handschrift. Fetzige Popsongs wechseln mit berührenden Balladen. Die Musik rockt und reißt das Publikum mit. Das liegt zuletzt auch daran, dass Peter Plate und Ulf Leo Sommer die Songs aus den Figuren entwickelt haben. So sind richtig starke Nummern entstanden, die von den Darsteller:innen ausgezeichnet und teilweise mit einigen krass hohen Spitzentönen dargeboten werden (das Album zum Musical ist bereits beim Label BMG erschienen).

Näher am Publikum

Die Bühne zeigt, anders als in Ku’damm 56, keine Gerüstgalerie. Allenfalls die alte Rückwand ist noch vage im Hintergrund zu erkennen. Zwei drehbare Wände (Hausfassaden und Schlafzimmer) verweisen auf den Kurfürstendamm und die Wohnungen von Fabrikantensohn Joachim Franck und das Apartment von Eva. Für den Filmdreh „Hotel am Wolfgangsee“ dient ein hochgezogenes riesiges Stofftuch als Projektionsfläche für alpine Bilder (unterstützt von einer Gondelsitzbank). Die meisten Orte werden nur dezent angedeutet, zum Einsatz kommen dabei auch Podeste und mobile Treppenanlagen. Das Geschehen ist jetzt viel näher zum Publikum gerückt (Bühne: Katrin Nottrodt). Die Kostüme von Esther Bialas (auch Haare & Make-up) spiegeln dezent die Mode der späten 1950er-Jahren.

Ku’damm 59
Stage Theater des Westens
Caterina Schöllack (Katja Uhlig), Christa Moser (Steffi Irmen)
© Dominic Ernst

Ein großer Gewinn ist, dass die Band jetzt gut einsehbar auf der rechten Bühnenseite in einem Pavillon platziert ist. Sie spielt mit viel Energie einen mitreißenden, kräftig pulsierenden Sound (Leitung: Shay Cohen), stimmt mit einer gedämpften Trompete aber auch verträumte Motive an. So wie beispielsweise bei „Frühling in Berlin“, wenn zwischen Monika und Joachim beim ersten Wiedersehen nach drei Jahren, die Gefühle wiederaufleben, sie aber merken „zur falschen Zeit am falschen Ort“ zu sein.

Alte und Neue Darsteller:innen

Bei der Besetzung gibt es Unterschiede zu Ku’damm 56. Neu dabei sind u. a. Celina Dos Santos (unangepasste Monika, mit der Empowerment-Hymne „Marie läuft Amok“), Pamina Lenn (als unglücklich verheiratete Helga) und Mathias Reiser (als vordergründig jugendlich unbeschwert wirkender, aber mit einer sehr schweren Bürde belasteter Fredy; leidenschaftlich mit „Drei Minuten Held“ und melancholisch mit „Du fehlst mir“).

Ku’damm 59
Stage Theater des Westens
Eva (Isabel Waltsgott)
© Dominic Ernst

Erneut zu erleben ist allen voran Katja Uhlig als nur schwer einsichtige Mutter Caterina. Sie setzt weiterhin alles daran, ihren Lebenszweck, ihre Töchter gesichert „unter die Haube zu bringen“, umzusetzen (köstlich mit „Belinda Hochreiter“ ihre Extravaganzen aufleben lassend). David Nádvornik mahnt als Autor und Fabrikantensohn Joachim mit dem Song „Herr K.“ gegen Faschismus, Mitläufertum und der Gefahr des Schweigens.

Groß in Szene setzen kann sich im quietschgelben Kleid Isabel Waltsgott als nach ihrer Freiheit strebende Eva (stark mit dem rhythmischen „Wenn die Schwalbe in den Himmel schaut“ und verführerisch mit dem doppeldeutigen „Honig“). Der Arzt Fassbender ist hier ein extrem eindimensional gezeichneter Tyrann (Cusch Jung). Stark aufgewertet und abgewandelt wurde die Figur des Regisseurs Kurt Moser. Dieser heißt hier Christa Moser und wird von Publikumsliebling Steffi Irmen (Amme in „Romeo & Julia – Liebe ist alles“ und der Soloshow „Die Amme“) lebhaft verkörpert. Mit „Showbetrieb“ weist sie auf die Austauschbarkeit in der Welt hin und träumt im Duett mit Caterina („Speer & Riefenstahl“). Philipp Nowicki spürt als Wolfgang seinen Gefühlen nach und möchte nicht mehr unter seinen emotionalen Möglichkeiten leben („Zwischen Ost und West“).

Ku’damm 59
Stage Theater des Westens
Hans (Alexander Auler), Wolfgang (Philipp Nowicki)
© Dominic Ernst

Das Ende zeigt mit dem gemeinsam dargebotenen „Liebmichallee“ („Das ist unser Haus/Ganz nah an der Spree/Für jeden einen Raum/Doch keinen Platz für Wut/In der Liebmichallee“) eine schöne Utopie, den Traum vom stressfreien gemeinsamen Wohnen.

Tosender Applaus und stehende Ovationen vom Publikum. Darunter die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer, die Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe Franziska Giffey, der ehemalige Bürgermeister Klaus Wowereit, Auto Benjamin von Stuckrad-Barre, Regisseur Rosa von Praunheim, die Drag Queens Laila Licious, Bambi Mercury, Jurassica Parka, Marcella Rockefeller und Margot Schlönzke, die Schauspieler:innen Katy Karrenbauer, Heike Makatsch, Georg Preuße, Jannik Schümann, Sabin Tambrea, Tom Wlaschiha und Daniela Ziegler, die Sänger:innen Katja Eppstein, Lea und Max Raabe, Erotik-Model und Moderatorin Micaela Schäfer und Reality Star Julian F. H. Stöckel (Liste ist nur eine Auswahl),

Ku’damm 59
Stage Theater des Westens
Ensemble
© Dominic Ernst

Dass es eine Musical-Trilogie, also ein Ku’damm 63 geben wird, ist gegenwärtig nicht vorgesehen (das war Ku’damm´ 59 ursprünglich allerdings auch nicht). Nach Ku’damm 59 soll erst einmal etwas ganz anderes auf die Bühne des Stage Theater des Westens kommen.
Fest steht dafür, dass Drehbuchautorin und Schriftstellerin Annette Hess bereits an einer Fortsetzung der Filmtrilogie arbeitet. Die Dreharbeiten zu Ku´damm 77 sollen Anfang 2025 beginnen. Die Ausstrahlung könnte dann Anfang 2026 erfolgen. Doch jetzt kann erst einmal die Geschichte der vier furchtlosen Frauen und ihrer Männergeschichten bei Ku’damm´ 59 besucht werden, es lohnt sich!

Markus Gründig, Mai 24


Ku’damm´ 59

Premiere/Uraufführung: 5. Mai 2024 (Berlin, Stage Theater des Westens)

Songtexte, Musik und Produzent: Peter Plate / Ulf Leo Sommer
Libretto: Annette Hess
Musikalischer Produzent: Joshua Lange
Music Supervisor, Orchestrator, Associate Arrangeur: Caspar Hachfeld
Künstlerischer Produzent: Dustin Peters

Musikalische Leitung und Keyboard: Shay Cohen
Regie: Christoph Drewitz
Bühne: Katrin Nottrodt
Kostüme, Haare & Make-up: Esther Bialas
Choreografie: Jonathan Huor
Ton-Design: Florntin Adolf
Licht Design: Tim Delling
Resident Director: Philipp Kohn
CCO bei BMG: Dominique Casimir

Die Besetzung der Hauptrollen:

Monika Schöllack: Celina dos Santos
Caterina Schöllack: Katja Uhlig
Eva Schöllack: Isabel Waltsgott
Helga Schöllack: Pamina Lenna
Christa Moser: Stefi Irmen
Freddy: Mathias Reiser
Joachim Franck: David Nádvornik / Tobias Joch
Wolfgang: Philipp Nowicki
Prof. Dr. Jürgen Fassbender: Cusch Jung / Dominik Schulz
Hans: Alexander Auler

Weitere Informationen und Tickets unter: musicals.de.