Verletzte Menschenwürde und das Recht auf Widerstand sind die großen Themen in Heinrich von Kleists Novelle Michael Kohlhaas. Schon im 19. Jahrhundert wurde sie gerne dramatisiert, das hat sich bis heute nicht geändert. Unter dem Titel Kohlhaas war ab Juni 2015 in den Frankfurter Kammerspielen die Geschichte des eigensinnigen Michael Kohlhaas, dem es wichtiger ist, mit seinen eigenen Werten in Übereinstimmung zu sein, als ihm das Leben lieb ist, als Solo mit Isaak Dentler zu sehen.
Nun wurde für Heinrich von Kleists Novelle von der Regisseurin Felicitas Brucker und von Dramaturg Alexander Leiffheidt eine Bühnenfassung erstellt. Sie wird im Schauspielhaus gezeigt. Hierfür wurde die Bühne in den Zuschauerraum verlängert. Eine großes Podium reicht über die ersten fünf Sitzreihen in den Saal hinein. Am eigentlichen Bühnenrand ist zunächst ein rechteckiger Rahmen zu sehen, in dessen Innerem eine Art Sprechzimmer. Im Laufe der Vorstellung fährt dieser Rahmen hoch und zeigt weitere Rahmen unterschiedlicher Größe, einem Setzkasten ähnlich. Die einzelnen Bereiche sind über Klappen oder Steigleitern verbunden. Die Kostüme spiegeln unsere heutige Zeit wider, nehmen dabei dezent Bezug zur Historie (Bühne und Kostüme: Viva Schudt). Ausgefallen sind die Videoprojektionen. Die Rahmen werden von vorne illuminiert, die Rückwand von hinten. Auf dieser sind Flure, Straßen und abstrakte Bilder von ungeordneten Strukturen zu sehen (Video/ Animation: Luis August Krawen).
Die hier gezeigte Bühnenfassung ist ein sorgsam erarbeiteteter Mix aus Erzählung und Spiel, mit Kampfszenen (Choreografie: Graham Smith) und eindringlichen Bildern. Sebastian Reiß zeigt als Kohlhaas, wie aus einem nach Recht und Ordnung strebenden Bürger durch erfahrenes Unrecht ein Rebell und Kämpfer wird. Er verdeutlicht die Gefahr freigesetzter Gewalt, durch einen Staat, der seine Bürger nicht ausreichend schützt. Bezüge durch sich in der Corona-Krise vom Staat in Stich gelassen gefühlten Menschen werden hier nicht gezogen, sie liegen aber nahe.
Die weiteren DarstellerInnen sind in Mehrfachbesetzung zu erleben. Stefan Graf gibt einen vehement auftretenden Wenzel von Tronka (und Scharfrichter), Sarah Grunert eine besorgte und einfühlsame Lisbeth (wie auch Hinz von Tronka und radikaler Nagelschmidt). Seine Wandlungsfähigkeit zeigt Nils Kreutinger (brutaler Schlossvogt und diplomatischer Prinz von Meißen). Neu im Ensemble ist die junge Annie Nowak (hier als geschundener Herse und als Kunz von Tronka). Eher wie ein Psychiater wirkt der bedächtig auftretende Luther des Matthias Redlhammer (auch Kurfürst von Sachsen).
Erzählpassagen sind bei der umfangreichen Handlung unumgänglich. Insbesondere Sarah Grunert sticht hierbei mit einer in den Bann ziehenden Ausdrucksstärke hervor.
Felicitas Bruckner und dem toll aufspielenden Ensemble ist es gut gelungen einen kurzweiligen Abend mit Tiefgang zu bieten. Viel Applaus.
Markus Gründig, September 21
Michael Kohlhaas
Novelle
Von: Heinrich von Kleist
Für die Bühne bearbeitet von: Felicitas Brucker und Alexander Leiffheidt
Premiere am Schauspiel Frankfurt: 19. September 21 (Schauspielhaus)
Besuchte Vorstellung: 26. September 21
Regie: Felicitas Brucker
Bühne und Kostüme: Viva Schudt
Video/ Animation: Luis August Krawen
Musik: Mark Badur
Choreografie: Graham Smith
Dramaturgie: Alexander Leiffheidt
Licht: Johannes Richter, Ellen Jaeger
Besetzung:
Kohlhaas: Sebastian Reiß
Luther / Kurfürst von Sachsen: Matthias Redlhammer
Wenzel von Tronka / Scharfrichter: Stefan Graf
Lisbeth / Hinz von Tronka / Nagelschmidt: Sarah Grunert
Herse / Kunz von Tronka: Annie Nowak
Schlossvogt / Sternbald / Prinz von Meißen: Nils Kreutinger
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