Im Jahr 1966 kam Luis Buñuels Film Der Würgeengel in die Kinos. Er war nur kurze Zeit im Verleih. Bewusst nicht als Blockbuster konzipiert, ist er kein Film, der gefallen will. Dennoch ist er herausragend und kann als Zusammenfassung des bunuelschen Lebenswerks gesehen werden: „Ein Werk voller Geheimnisse, von schwindelerregender Komplexität… ein Meisterwerk“ (France Observateur, Deutsches Filminstitut).
Der Film handelt von einer Gruppe von Menschen, die nach einem gemeinsamen Opernbesuch noch bei einem Ehepaar zum Souper eingeladen sind und dann dort mehrere Wochen in einer Villa wie gelähmt verharren, obwohl sie niemand hindert, zu gehen. So steht diese Gruppe für eine Gesellschaft, die trotz ihrer Privilegien und ihres Wissens handlungsunfähig ist.
Einflüsse der Tiefenpsychologie und des Surrealismus durchziehen den Film. Dabei ist der Titel eher irreführend, er gefiel Luis Buñuel, ohne dass sich daraus eine tiefere Bedeutung ergibt.
Bühne auf kammerspielartige Größe verkleinert
Für das Schauspiel Frankfurt haben PeterLicht und SE Struck eine amüsante und sprachlich ansprechende Bühnenfassung erstellt, wie bereits 2022 zu Buñuels Der diskrete Charme der Bourgeoisie. Bezüge zur Gegenwart gibt es u. a. mit der Erwähnung einer regional und saisonalen Küche, Elektrorollern und einer Gala zum Krieg. Auf die Darstellung der voyeuristischen Außenwelt (die Villa wird für neugierige Städter und Familienangehörige zum Ausflugsziel) wurde bei der Bühnenfassung verzichtet.
Beide Stücke inszenierte Claudia Bauer. Die Bühne im Schauspielhaus wurde für Der Würgeengel auf eine kammerspielartige Größe verkleinert. Im holzvertäfelten Wohn- und Essraum von Leonora (exaltiert: Anna Kubin) und Fred (charmant und souverän: Sebastian Kuschmann) stehen ein Klavier und vier einfache Sitzelemente. Hinter der Rückwand verbirgt sich die Küche und ein WC (Bühne: Andreas Auerbach).
Ist die Bühnenfassung natürlich keine 1:1 Abbildung des Films, fängt sie ähnlich an. Im Film verlässt zunächst der Großteil des Hauspersonals trotz vieler Gäste überstürzt die Villa. Bei der Bühnenfassung sind es zwei Caterer (aufgeweckt: Torsten Flassig und Katharina Linder), die partout nur ihre Lieferung abgeben wollen, aber nicht in das Haus und schon gar nicht anrichten wollen. Da kann auch die Hausdame Maria (eloquent: Julia Preuß) nichts tun, die zusätzlich so etwas wie eine Kommentatorin ist. Maria spricht mehrfach aus der Küche, dabei wird ihr Porträt groß auf Gazetransparente projiziert (aus zwei unterschiedlichen Perspektiven; Video: Jan Isaak Voges). Sie ist auch die Einzige mit Bezügen zum surrealen Bären (der im Film neben einer Horde Schafen durch die Villa spaziert).
Mit viel Getöse kommt dann die Feiergesellschaft über den linken Publikumszugang auf die Bühne. Dies macht insofern Sinn, da die Villa ihre Öffnung zur Außenwelt in Form einer großen Treppe zum Publikum hin hat. Auffallend sind ob ihrer knalligen Farben und ausgefallenen großen Mustern die Kleider und Anzüge. Schon visuell ein Hinweis auf eine besondere Gruppe Menschen (Kostüme: Vanessa Rust).
Viel Gesang
Film wie Stück handeln von der Gelähmtheit der Protagonisten, ihrer ständigen Müdigkeit, Unentschlossenheit und Lethargie. Um die gut 130-minütige, pausenlose Aufführung dennoch auf Spannung zu halten, gibt es zu dem sehr präzise gesprochenen Text auch viele Gesangseinlagen. Allen voran ist hierbei der schwerkranke Johann (auch als Counter Isoldes Liebestod verfremdend und am Klavier spielend: Hubert Wild) zu nennen. Wie auch die Opernsängerin Sabrina (in einem extravaganten Kleid mit Luftreif: Katharina Linder). Sein musikalisches Talent bringt zuletzt nicht auch Torsten Flassig als sensibler Béla ein. Als Ensemblestück runden Choreinlagen aller die musikalische Seite ab (Musik: Hubert Wild und Alexandra Holtsch). Die gemütskranke und sich fleißig kämmende Elise, die auch heftig die Treppe herunterpurzelt, gibt Lotte Schubert. Arash Nayebbandi ist ein aufgeweckter Richard, Andreas Vögler ein pragmatisch denkender Doc.
Je länger die Gruppe in der Villa verharrt, umso mehr Probleme entstehen, schließlich werden nicht nur die Nahrungsmittel knapp, auch das Wasser. Der Verwesungsgeruch eines Toten, der kurzerhand in einem Wandschrank zwischengelagert wurde, macht die Situation nicht leichter.
Nach der recht plötzlich stattfindenden Selbstbefreiung ist aber noch nicht Schluss. Anders als im Film, wo man bei einem Dankgottesdienst in einer Kirche wieder zusammenkommt, ist die Gruppe hier zeitgemäß zu einer entspannenden Auszeit in einer Sauna. Und der lethargische Lähmungszustand beginnt von Neuem…
Bei der besuchten 3. Vorstellung gab es lang anhaltenden und intensiven Applaus für diese lebhaft dargebotene Komödie mit bitterernsten Untertönen.
Markus Gründig, Februar 24
Der Würgeengel
Von: PeterLicht und SE Struck nach Luis Buñuel
Premiere: 20. Januar 24 (Schauspielhaus)
Besuchte Vorstellung: 2. Februar 22
Regie: Claudia Bauer
Bühne: Andreas Auerbach
Kostüme: Vanessa Rust
Musik: Hubert Wild, Alexandra Holtsch
Video: Jan Isaak Voges
Dramaturgie: Katja Herlemann
Licht: Marcel Heyde
Besetzung:
Béla, Caterer X: Torsten Flassig
Leonora: Anna Kubin
Fred: Sebastian Kuschmann
Sabrina, Caterer Y: Katharina Linder
Maria: Julia Preuß
Richard: Arash Nayebbandi
Elise: Lotte Schubert
Doc: Andreas Vögler
Johann: Hubert Wild