»Die Brüder Karamasow« eigensinnig am Schauspiel Frankfurt

Die Brüder Karamasow ~ Schauspiel Frankfurt ~ Gruschenka (Katharina Linder), Alexej (Lotte Schubert), Iwan (Melanie Straub), Dmitrij (Annie Nowak), Pawel (Elzemarieke de Vos), Lisa (Tanja Merlin Graf) ~ © Thomas Aurin

Vor einigen Jahren gab es am Schauspiel Frankfurt eine Dostojewski-Trilogie. Den Anfang machte Stephan Kimmig mit Der Idiot in 2013. Darauf folgte in 2015 Sebastian Hartmanns mit Dämonen. Bastian Kraft brachte 2016 mit Schuld und Sühne die Trilogie zum Abschluss.

Nun hat Laura Linnenbaum Dostojewskis letzten Roman, Die Brüder Karamasow, im Schauspielhaus auf die Bühne gebracht. Der mit seinen über 1000 Seiten durchaus herausfordernde Roman in vier Teilen und einem Epilog zählt zu den wichtigsten Werken der Weltliteratur und als Summe von Dostojewskis Schaffen. Formal ist er ein Kriminal- und Gerichtsdrama. Er handelt von vier unterschiedlichen Brüdern und ihrem Vater, der ermordet wird. Dazu gibt es zahlreiche Exkurse und Nebenhandlungen. Immer wieder geht es um Weltanschauungen, um die Frage nach Gott und die Abwägung zwischen Gut und Böse. Bei alledem stehen die Karamasows als Bild für Russland und die weiteren Figuren als Facetten der russischen Gesellschaft. 1958 erschien eine Verfilmung, u. a. mit Yul Brynner (Dimitri) und Maria Schell (Gruschenka).

Eine eigene Bühnenfassung

Gemeinsam mit Wolfgang Michalek erstellte Linnenbaum für das Schauspiel Frankfurt eine eigene und sehr reduzierte Bühnenfassung. Diese geht mitunter sehr ausführlich auf philosophische Themen ein. Die eigentliche Handlung wird dabei zur Nebensache. So kann der Abend trotz guter Vorbereitung zu einer Herausforderung werden. Der umfangreiche und meist direkt zum Publikum gesprochene Text strengt an. Man hört viel, wird davon aber nur bedingt berührt.

Und dann gibt es eine ganz große Besonderheit: Alle Figuren werden von Frauen gespielt, die wiederum mehr oder weniger als Männer erscheinen. Sie tragen einheitlich zunächst weite gestreifte Hosen mit Trägern und Tüllblusen, nach der Pause dann Shirts, die ihre männlichen Brustmuskeln deutlich betonen (Kostüme: Philipp Basener). Dazu sind ihre Augenpartien rot geschminkt. Abweichungen gibt es bei den Frauen, die Frauenrollen spielen. Hosenrollen sind schon in der Oper eine immer wieder irritierende Angelegenheit. Bei Linnenbaum wird Travestie zur Norm. Ein Mehrwert ist dadurch nicht zu erkennen, sind Frauen ja nicht per se besser oder schlechter als Männer. Allerdings agieren sie natürlich ganz anders und reden unendlich viel. Dies aber fast immer aneinander vorbei (weil direkt zum Publikum und nicht zum Gegenüber). So entsteht keine große Spannung, wer denn nun den Vater ermordet hat. Und wirkt der Text allein dadurch anders, wenn eine Frau ihn spricht? Das kann jeder für sich selbst entscheiden.

Schlichtes Bühnenbild bietet überzeugende Optiken

Neben dem Gerede gibt es auch einigen Aktionismus, wie verzweifeltes herumrennen und sich am Boden wälzen. Dafür bietet das schlichte Bühnenbild (Valentin Baumeister) viel Raum. Linnenbaum nutzt die große Bühne, das ist schön. Der Boden ist mit schwarzen Stofffetzen belegt und wirkt wie ein großes Feld verbrannter Erde. Schwarze Vorhangschals grenzen die Spielfläche der Drehbühne ein, vermitteln gleichsam eine Mauer des Eingesperrtseins. Die Ausleuchtung ist dezent und effektiv (Licht: Marcel Heide). Vereinzelt werden Nahaufnahmen groß projiziert, dabei übernehmen die Darstellerinnen die Kamera (Video: Jonas Englert, auch Musik). Die klasse Optiken überzeugen auf ganzer Linie.

Die Brüder Karamasow
Schauspiel Frankfurt
Ensemble
© Thomas Aurin

Durch den einheitlichen Kleidungsstil sind die unterschiedlichen Figuren nicht unbedingt leicht zu erkennen. Dennoch treten die vier Brüder trotz ähnlichem Äußerem hervor: Annie Nowak als der spielsüchtige und draufgängerische Dmitrij, Lotte Schubert als der religiöse Alexej, Melanie Straub als der intellektuelle Iwan und Elzemarieke de Vos als der uneheliche Koch Pawel. Bei den Nebenfiguren ist es schon etwas schwieriger. Christina Geiße gibt, auch vom Zuschauerraum aus, den Mönch Starez Sossima, Tanja Merlin Graf die heiratswillige kranke Lisa Chochlakowa. Sarah Grunert bringt sich als Michail Ossipowitsch Rakitin und vor allem als ausdrucksstarker Teufel ein. In einer Doppelrolle ist auch Katharina Linder zu erleben (als die Geliebte Gruschenka und die unglücklich Liebende Katja).
Das dunkle, tragische Ende des Vaters wird im Roman gleich im ersten Satz erwähnt. Dementsprechend liegt er in der Inszenierung von Linnenbaum von Anfang an im Nachthemd tot auf der Bühne (bis zur Pause nach gut 90 Minuten; Peter Sigmund). Die Chance, den alten lüsternen und närrischen Patriarchen kennenzulernen, und damit auch zu verstehen, warum jeder der Söhne einen Hass auf ihn hatte, besteht hier nicht.

Im Schauspielhaus waren Die Brüder Karamarsow bereits die letzte Premiere der laufenden Spielzeit, ein etwas eigensinniger Abschluss.

Markus Gründig, Mai 24


Die Brüder Karamasow

Nach F. M. Dostojewski in einer Bearbeitung von: Laura Linnenbaum und Wolfgang Michalek

Premiere am Schauspiel Frankfurt: Freitag, 17. Mai 24 (Schauspielhaus)

Regie: Laura Linnenbaum
Bühne: Valentin Baumeister
Kostüme: Philipp Basener
Musik und Video: Jonas Englert
Choreografie: Ted Stoffer
Dramaturgie: Alexander Leiffheidt
Licht: Marcel Heide

Besetzung:

Starez Sossima: Christina Geiße
Lisa Chochlakowa: Tanja Merlin Graf
Michail Ossipowitsch Rakitin/Teufel): Sarah Grunert
Agrafena Alexandrowna Swetlowa (Gruschenka) / Katerina Iwanowna Werchowzewa (Katja)): Katharina Linder
Dmitrij Fjodorowitsch Karamasow (Mitja): Annie Nowak
Alexej Fjodorowitsch Karamasow (Aljoscha): Lotte Schubert
Iwan Fjodorowitsch Karamasow (Wanja): Melanie Straub
Pawel Fjodorowitsch Smerdjakow: Elzemarieke de Vos
Fjodor Pawlowitsch Karamasow / Statisterie: Peter Sigmund / Rainer Böhme
Iljuscha / Statisterie: Rebekka Vocke / Antonia Kloss

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