David Grossmans »Eine Frau flieht vor einer Nachricht« zieht am Schauspiel Frankfurt das Publikum in Bann

Eine Frau flieht vor einer Nachricht ~ Schauspiel Frankfurt ~ Ora (Altine Emini, Sarah Grunert, Christina Geiße, Eva Bühnen), Avram (Matthias Redlhammer) (Foto: Jessica Schäfer)

Eine sechzehn-¼-jährige singt einen Song der Band The Doors. Es ist mehr ein verzweifeltes Schreien denn schöner Gesang. Sie macht das unbewusst im Schlaf und hat wohl viel zu verarbeiten… Zur Zeit des Sechstagekriegs (1967) befindet sie sich auf einer Quarantänestation eines Krankenhauses, mit einer Gelbsucht und 40,5 Grad Fieber. Dies hat auch ein weiterer jugendlicher Patient, der zu ihrem Zimmer geschlichen kommt, während draußen die Bomben toben und alle anderen (nicht hochgradig infizierten) im Schutzbunker Zuflucht gesucht haben. Langsam entwickelt sich ein Gespräch zwischen dem redefreudigen jungen Mann und der nur langsam wach werdenden Frau. Doch schon bald sucht sie die Nähe zu einem weiteren, bislang nicht wahrgenommenen anderen (und hübschen) Mann.

Mit dieser Eröffnungsszene ist die Grundkonstellation von David Grossmans Eine Frau flieht vor einer Nachricht umrissen. Eine Dreiecksgeschichte inmitten von Krieg, Leid und Zerstörung. Der über 700 Seiten umfassende Roman des israelischen Autors und Friedensaktivisten erschien in Deutschland 2009. Noch während Grossman an ihm schrieb, starb sein eigener Sohn Uri bei einem israelischen Militäreinsatz im Libanon. Unter Anwesenheit des Autors fand am Schauspiel Frankfurt jetzt die deutschsprachige Erstaufführung statt (eine Bühnenfassung wurde vor einigen Jahren bereits in Israel gezeigt). Die Frankfurter Bühnenfassung destillierten Regisseurin Jessica Glaube und Dramaturg Alexander Leiffheidt aus dem beinahe ein halbes Jahrhundert umspannenden Roman. Sie schufen eine auf zwei Stunden Spieldauer komprimierte Fassung mit eigener Setzung.

Die Frau, Ora, hat von jedem der beiden Männer einen Sohn, der jüngere (von Avram, der von seiner Vaterrolle aber gar nichts weiß) ist ein resoluter israelischer Patriot, der sich nach seiner dreijährigen Pflichtzeit bei der Armee freiwillig zu einem weiteren Einsatz meldet, was die Mutter mit einer gemeinsamen Flucht in die Berge Galiläas zu verhindern sucht. Im ständigen Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit wird vor dem Hintergrund der israelischen Geschichte dieser Zeit die Familiengeschichte erzählt. Eine packende Story, der das Publikum bei der Premiere gebannt folgte (viele lehnten sich aus ihren Plätzen eher vor, als entspannt zurück).

Es ist vor allem Matthias Redlhammer im dreifachen Morgenmantel, der als grundsympathischer und mit trockenem Humor ausgestattete Avram besticht, der meist ruhig und überlegen reagiert. Erst recht, nachdem er als Schwerstverletzter aus ägyptischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt ist, in die er als Mitarbeiter des Nachrichtendienstes während des Jom-Kippur-Kriegs (6. – 25. Oktober 1973) geraten war (wobei hier von Krieg nur allgemein gesprochen wird, konkrete Namen werden kaum genannt). Zum Ende hin ist er nicht nur revitalisiert, er macht eine Metamorphose, kann wieder auf Ora zugehen und ist sogar interessiert, Ofer einmal zu sehen.

Die Figur der Ora wurde mit vier Darstellerinnen besetzt, die Vielschichtigkeit ihres Charakters und ihre Lebensphasen multipler zeigend. Eva Bühnen (vom Studiojahr Schauspiel), Altine Emini (auch singend), Christina Geiße und Sarah Grunert treten fast immer gemeinsam auf (wobei eine so wandelbare Schauspielerin wie Sarah Grunert das sicher auch alleine hinbekommen hätte). Alle vier zeigen große Präsenz, in ihrer bedingungslosen Liebe, in ihrer Not, drohendes Unheil kategorisch auszublenden. Ebenfalls vom Studiojahr Schauspiel ist, mit großem schauspielerischen Potenzial und auch Gitarre spielend, David Campling beteiligt. Er gibt sowohl den zweiten Geliebten Oras (Ilan), wie auch den jüngeren Sohn Ofer.

Drei Elemente machen die Bühne von Mai Gogishvili aus. Der Boden besteht aus ungeordnet übereinanderliegenden weiß-rosa Platten, eine denkbare Anspielung auf die territorialen Probleme im Nahen Osten (durch den Rosa-Charakter aber auch an kindliche Unschuld erinnernd). Große, abgerundete Steine stehen überwiegend für die Berglandschaft Galiläas (manche von ihnen deuten mit ihrer Phallus ähnlichen Ausformung auch auf die männliche Triebkraft hin). Ein frei in den Raum ragender Laufsteg, der fast nur von Ofer genutzt wird, unterstreicht seine Rolle als familiärer Einzelgänger. Neben lautstarken Beats (Musik: Joe Masi) zwischen einzelnen Szenen, gibt es zugespielte Sounds (wie Schüsse und Explosionen), die die Kriegsstimmung plastisch erscheinen lassen. Fast schon trotzig wirkt das Rot in den Jacken, Strümpfen und Schuhen zu dunkelbraunen ärmellangen Kleidern der vier Oras.

Eine Frau flieht vor einer Nachricht ist Jessica Glauses erste Arbeit für das Schauspiel Frankfurt, mit der Umsetzung von David Grossmans Friedensplädoyer gelang ihr ein beachtlicher Einstand.


Markus Gründig, Januar 19


Eine Frau flieht vor einer Nachricht
Schauspiel Frankfurt
Ora (Altine Emini, Eva Bühnen, Christina Geiße, Sarah Grunert), Ofer (David Campling)
Foto: Jessica Schäfer

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Von: David Grossman
Deutsch von: Anne Birkenhauer
Für die Bühne bearbeitet von: Jessica Glause und Alexander Leiffheidt

Premiere am Schauspiel Frankfurt: 11. Januar 19 (Deutschsprachige Erstaufführung; Kammerspiele)

Regie: Jessica Glause
Bühne: Mai Gogishvili
Kostüme: Hugo Holger Schneider
Musik: Joe Masi
Dramaturgie: Alexander Leiffheidt

Besetzung:

Ora: Eva Bühnen, Altine Emini, Christina Geiße, Sarah Grunert
Avram: Matthias Redlhammer
Ofer, Ilan: David Campling
Soldatinnen: Eva Bühnen, Christina Geiße

www.schauspielfrankfurt.de