„Höre auf den Rat von niemandem, außer auf den Wind in den Bäumen.
Er erzählt Dir die Geschichte der gesamten Menschheit.“
(Claude Debussy alias Monsieur Croche)
Bei ihrem ersten Liederabend an der Oper Frankfurt im Februar 2013 widmete sich die Sopranistin Christiane Karg weitestgehend dem klassischen romantischen Liedgut (Brahms, Schubert, Wolf und Strauss). Jetzt, bei ihrem zweiten, stand der französische Komponist Claude Debussy im Mittelpunkt, an dessen 100. Todestag in 2018 gedacht wird.
Dabei war der Liederabend in der gegebenen Form gar nicht geplant gewesen und überaus kurzfristig ermöglicht worden. Eigentlich sollte die Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller ihr Debüt an der Oper Frankfurt geben. Aufgrund von Heiserkeit musste sie am Abend vorher jedoch leider absagen.
Mit Christiane Karg wurde kurzfristig eine ausgezeichnete Alternative gefunden. Für ihre Konzertreihe KunstKlang in ihrer Geburtsstadt Feuchtwangen hatte Karg am vergangenen Sonntag ein Matinée-Konzert unter dem Titel „Für das Unaussprechliche“ mit Kompositionen von Claude Debussy, Erik Satie und Richard Wagner einstudiert.
Nun zeigte sich für sie im Nachhinein, dass es sich für sie doppelt gelohnt hat, konnte sie dieses besondere Programm doch nun auch gleich dem Frankfurter Publikum vorstellen. Zwar nicht mit ihrem gewohnten Klavierbegleiter Gerold Huber (der an diesem Abend bereits anderweitig verpflichtet war), dafür erstmals im Duo mit dem britischen Pianisten Simon Lepper, der regelmäßig an der Oper Frankfurt zu Gast ist. Erst am Nachmittag, also wenige Stunden vor dem Liederabend, haben die beiden gemeinsam geprobt. Ein zusätzlicher Vorteil war, dass Simon Lepper mit dem französischen Liedrepertoire gut vertraut ist.
Christiane Karg war von 2008-2013 Ensemblemitglied der Oper Frankfurt und ist vielen noch in sehr guter Erinnerung. Inzwischen ist sie international eine der gefragtesten Sopranistinnen und kann eine umfangreiche und vielseitige Diskografie vorweisen. Nicht nur das Publikum freute sich über das unverhoffte Wiedersehen, auch sie selbst sagte, dass sie sich freut, wieder auf der Frankfurter Opernbühne stehen zu können.
Von ihrem Charme, ihren sinnlichen Blicken und ihrer aufrichtig und herzlich wirkenden Art, hat sie trotz ihrer großen Erfolge u. a. in Baden-Baden, New York, Salzburg und Wien, nichts eingebüßt. Souverän gab sie kurze Informationen zum gewählten Liedprogramm, da aufgrund der kurzfristigenTerminierung zwar ein Programm mit den Liedtexten gedruckt, jedoch keine Werkinformationen zu den Komponisten und den gewählten Liedern gegeben werden konnte.
Zu Beginn stand Debussys früherLiedzyklus Cing poèmes de Clarles Baudelaire (Texte aus dessen Gedichtband „Les Fleurs du Mal“ ~ „Die Blumen des Bösen“), die er in den Jahren 1888 und 1889 geschaffen hat. Sie sind stark von seinen Eindrücken von Besuchen der Bayreuther Festspiele geprägt. Elegisch fließend, von schmerzhafter Erinnerung an vergangene Liebe geprägt das erste Lied „Le balcon“ („Der Balkon“), das dem Tristan nahe ist (das allerdings ohne vergleichbare dynamische Steigerung wie bei Wagner auskommt). Sehr schön drückte Karg die Nuancen des Gefühls aus, wie bei „Harmonie du soir“ („Abendeinklang“), mit seinem entrückten Schluss.
Auf Debussy folgten vier Lieder Eric Saties, dem großen Einzelgänger der französischen Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Als Zeitgenosse von Debussy hatte er nachhaltig Einfluss auf ihn und überzeugte ihn, seinen Musikstil weiterzuentwickeln. Satie selbst war ganz besonders offen für neue musikalische Formen. Für Kargs lyrische Stimme hervorragend geeignet: „Les anges“ („DerEngel“), ein, ganz dem Titel entsprechend, engelhaft und sehr sanft vorgetragenes Lied (mit reduzierter Klavierbegleitung). Bewegter und auf das Chanson hinweisend: „Je te veux“ („Ich begehre dich“) und sehr heiter und lebensnah die Geschichte über eine Frau mit extravaganten Hüten: „La Diva de l’Empire“ („Die Diva des Reiches), bei dem Karg zusätzlich ihre starke Bühnenpräsenz zeigen konnte.
Nach der Pause folgte Debussys späterer und reiferer Liedzyklus Ariettes oubliées (Vergessene Weisen), die er Mary Garden gewidmet hat (sie war die erste Melisande seiner Oper Pelléas etMélisande). Sein fließender, geschmeidiger Stil, das sich ständigweiter bewegende Vorwärtsdrängen, verdeutlichte Karg besonders bei dem melancholischen Regenlied „Il pleure dans mon cœur“ („Es weint in meinem Herzen“). Hier auch ganz besonders einfühlsam und mit geringem Fingerdruck am Klavier subtil begleitend: Simon Lepper. Besonders eindringlich das zunächst heiter anmutende Lied „Checauxde bois“ („Die Karusellpferde), doch alles Leben, sei es auch noch so wild, endet mit dem Tod („rollt die letzte Trommel“).
Mit den populären Wesendonck-Liedern von Richard Wagner beendete Christiane Karg diesen wunderbaren Abend. Als lyrische Sopranistin gab sie diesem ihre ganz eigene, spezielle Note und betörte auch hier mit ihrem innigen Vortragsstil.
Am Ende lang anhaltender und starker Applaus. Auf eine Zugabe verzichtete Christiane Karg bewusst, denn den gesungenen Worten sollte erst einmal in Ruhe nachgespürt werden. Dafür trug sie ein Zitat von Debussy vor: „Höre auf den Rat von niemandem, außer auf den Wind in den Bäumen. Er erzählt Dir die Geschichte der gesamten Menschheit.“ (Claude Debussy alias Monsieur Croche).
Markus Gründig, November 18