Mainzer Stadtschreiberin 2024: Julia Schoch

Julia Schoch (© ZDF und Ulrich Burkhardt)

Der Mainzer Stadtschreiber Literaturpreis des ZDF, 3sat und der Landeshauptstadt Mainz wird zum 39. Mal verliehen. Die in Potsdam lebende Schriftstellerin Julia Schoch erhält die Auszeichnung und wird Mainzer Stadtschreiberin des Jahres 2024. Die Verleihung des Preises ist für den 22. März 2024 im Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) in Mainz geplant.

Der von ZDF und 3sat gemeinsam mit der Stadt Mainz vergebene renommierte Literaturpreis ist mit 12.500.- Euro dotiert. Gemeinsam mit dem ZDF wird die Schriftstellerin eine Dokumentation nach freier Themenwahl produzieren und die Stadtschreiberwohnung im Mainzer Gutenberg-Museum beziehen.

Die ZDF-Programmdirektorin, Nadine Bilke, über die neue Mainzer Stadtschreiberin: „Julia Schoch gelingt es, Literaturkritik und Lesepublikum gleichermaßen zu begeistern. Als poetische und emotionale Erinnerungslandschaft erzählt sie Kindheit, Liebe und Familie im besonderen Kontext deutscher Geschichte. Wir freuen uns, diese beeindruckende Autorin für das Stadtschreiberjahr nach Mainz zu holen.“

„Mit Julia Schoch kommt eine von der Kritik hoch gelobte prominente Schriftstellerin der jüngeren Generation nach Mainz, die einen ganz eigenen Ton in die deutschsprachige Literatur bringt.“ so die Jury. „Julia Schochs Romane verweben berührend die persönlichen Erfahrungen ihrer Frauenfiguren mit historischen Umbrüchen. Ihre Perspektive – geprägt vom Erlebnis der Wende als Teenager in Potsdam – entfaltet klar, zart, und scheinbar ganz leicht, tiefe Sehnsüchte unserer Zeit nach Zugehörigkeit.“

Auch die Mainzer Kulturdezernentin Marianne Grosse begrüßt die Wahl von Julia Schoch: „Wir gewinnen im Mainzer Stadtschreiberamt eine filigrane Beobachterin zwischenmenschlicher Untiefen, in denen sich verändernde Blickwinkel neue und stets erstaunliche Perspektiven aufwerfen. Julia Schoch ist vielfach prämiert, tritt zudem als Übersetzerin für namhafte Autorinnen wie etwa Fred Vargas auf und hat bereits mehrfach für Erstaunen in der deutschen Literaturszene gesorgt.“

Julia Schoch

Julia Schoch, 1974 in Bad Saarow geboren, studierte Germanistik und Romanistik an der Universität Potsdam. Gleich ihr erstes Buch, der Kurzgeschichtenband „Der Körper des Salamanders“ (2001), wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis und dem Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis. 2004 veröffentlichte sie den Roman „Verabredungen mit Mattok“ und begann, regelmäßig Literatur aus dem Französischen zu übersetzen. Es folgten die Romane „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“ (2009), „Selbstporträt mit Bonaparte“ (2012) und der Generationenroman „Schöne Seelen und Komplizen“ (2018) sowie weitere Kurzprosa und Essays. Im Frühling 2023 wurde ihr Roman „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ zum Bestseller. Zu den vielen Auszeichnungen für ihr Werk gehörten zuletzt die „Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung für das schriftstellerische Gesamtwerk“ (2022) und der Schubart-Literaturpreis der Stadt Aachen (2023).


Der Mainzer Stadtschreiber-Literaturpreis

Der „Mainzer Stadtschreiber-Literaturpreis“ bietet den Preisträgerinnen und Preisträgern die für einen Literaturpreis einmalige Möglichkeit, zu Filmemachern zu werden: Mit dem ZDF drehen sie eine Dokumentation zu einem Thema ihrer Wahl.

Der renommierte Literaturpreis wird seit 1985 jährlich gemeinsam von ZDF, 3sat und der Stadt Mainz vergeben und ist mit 12.500 Euro dotiert. Die Mainzer Stadtschreiberinnen und Stadtschreiber haben zudem Wohnrecht im historischen Teil des Mainzer Gutenberg-Museums.

Die erste Preisträgerin war 1985 Gabriele Wohmann, es folgten bekannte deutschsprachige Autorinnen und Autoren wie Günter Kunert, Sarah Kirsch, Monika Maron, Sten Nadolny, Ilija Trojanow, Josef Haslinger, Judith Schalansky, Eva Menasse und Eugen Ruge.


Kurzbiografie Julia Schoch

Die Schriftstellerin Julia Schoch wurde am 17. Mai 1974 in Bad Saarow geboren und ist in Mecklenburg aufgewachsen. Sie studierte Romanistik und Germanistik in Potsdam, Montpellier und Bukarest. Ab dem Jahre 2000 war sie bis 2003 Mitarbeiterin am Institut für Romanistik der Uni Potsdam. Danach arbeitete sie als freie Autorin und Übersetzerin und als Dozentin für kreatives Schreiben u.a. am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und dem Literaturhaus München. Heute lebt sie in Potsdam.

Ihr Kurzgeschichtenband „Der Körper des Salamanders“, der 2001 veröffentlicht wurde, sorgte für große Aufmerksamkeit. Die Autorin erhielt eine ganze Reihe von Literaturpreisen dafür – unter anderem den Förderpreis des Friedrich-Hölderlin-Preises und den Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis. 2004 veröffentlichte sie ihren Roman „Verabredung mit Mattok“ und begann regelmäßig Literatur aus dem Französischen zu übersetzen, u.a. Bücher der Krimiautorin Fred Vargas oder die Tagebücher der Weltenbummlerin Isabelle Eberhardt und viele andere. Es folgten weitere Romane: Zuletzt im Februar 2023 der zweite Teil einer Familien-Trilogie: „Das Liebespaar des Jahrhunderts. Biograhie einer Frau“ (dtv). In den vergangenen Jahren wurde ihr Werk mit mehreren Preisen ausgezeichnet. 2023 erhält sie den Schubart-Literaturpreis der Stadt Aalen. Mehr Infos unter: juliaschoch.de


“Kunst ist nicht Kommentar zu den laufenden Ereignissen, sondern ein eigener Denk- und Wirklichkeitsraum.“ Julia Schoch im Interview

Frau Schoch, für Ihr literarisches Werk haben Sie viele Preise bekommen und waren auch schon Stadtschreiberin zu Rheinsberg und in Dresden. Was verbinden Sie mit dem Amt der Stadtschreiberin? Früher sollte eine der Aufgaben sein, die Menschen fortzubilden.

Wenn es gut läuft, gibt das „Amt“ sowohl der Autorin als auch dem Publikum Gelegenheit, Beziehungen entstehen zu lassen, die tiefgründiger und langlebiger sind als normale Lesungsaufenthalte. Man darf allerdings nicht erwarten, dass sowas sofort und garantiert passiert. Beziehungen und ihre Wirkung lassen sich nicht prompt abrechnen.

Ich persönlich brauche oft lange, ungefähr sieben Jahre, bis ich merke, inwiefern ein Ort mich beeinflusst oder berührt hat. Was Mainz betrifft, habe ich vor, die Stadt auf eine gelassene Weise zu entdecken, das heißt nicht wie eine Touristin. Alltag, Wiederholungen, Gewohnheiten, ich habe ja ein bisschen Zeit, der Gedanke beruhigt mich …

Ich werde mehrere Lesungen vor Ort machen, an der Uni einen Schreibkurs veranstalten, und auch in dem Film, den ich mit dem ZDF drehen darf, werde ich die Stadt auf eine spezielle Weise vorkommen lassen. Wenn der eine oder andere dadurch angeregt wird, wenn es die Menschen für Momente wach macht oder nachdenklich oder beseelt, wäre schon alles gewonnen.

Die Jury des Literaturpreises beschreibt Sie als eine von der Kritik hoch gelobte prominente Schriftstellerin der jüngeren Generation, die einen ganz eigenen Ton in die deutschsprachige Literatur bringt und in ihren Romanen die Sehnsüchte unserer Zeit nach Zugehörigkeit in besonderer Weise beschreibt. Wie würden Sie Ihr Anliegen und die Themen Ihrer Bücher für diejenigen zusammenfassen, die die neue Stadtschreiberin jetzt erst kennenlernen?

Mein Anliegen ist es, einzelne Wörter präzise, klar und wahrhaftig aneinanderzureihen, sodass ein Sinnzusammenhang entsteht. Mein Thema ist meine Existenz. Ich begleite sie schreibend und erschaffe dabei zugleich etwas Neues. Schreiben heißt verwandeln, eine Wirklichkeit errichten. Dabei kommen menschliche Beziehungen in den Blick, das Erinnern und seine Veränderlichkeit, unsere Epoche, das Nachwirken geschichtlicher Ereignisse in meiner Biografie, die Liebe oder ihre Abwesenheit, das Schreiben selbst, das Verstreichen der Zeit. Im Übrigen freue ich mich, dass ich noch immer zur „jüngeren Generation“ gerechnet werde.

Der Literaturpreis von ZDF, 3sat und der Stadt Mainz wird auch vergeben, um das Zusammenwirken von Literatur und Fernsehen zu fördern. Was könnte Ihrer Meinung nach unternommen werden, um diese Verbindung auszubauen?

Wenn tatsächlich ein Interesse besteht, diese Verbindung auszubauen, würde ich sagen: Literatur beziehungsweise Kunst könnte selbstverständlicher und häufiger vorkommen, ob kurz oder lang, ästhetisch verrückt oder eher gediegen. Künstler sollten dafür nicht in spezielle Senderäume wie Kultursendungen verbannt werden.

Gerade weil Kunst herkömmliche Logiken verlässt oder einfache Brücken schlägt, die üblicherweise als kompliziert suggeriert werden (und umgekehrt), weil Literaten gedanklich und sprachlich eben nicht die üblichen Hülsen benutzen, sollte ihre Sicht auch in anderen Zusammenhängen erlebbar werden. Diese Art von Osmose würde den Stellenwert von Literatur gleichsam nebenbei verändern.

Das stelle ich mir überraschend und bereichernd vor. Zudem glaube ich, es ist müßig, den Moden hinterherlaufen zu wollen, das heißt, nach Formaten zu suchen, die „die jungen Leute ansprechen“ oder Ähnliches. Da kommt man immer zu spät. Selbstbewusst eine eigene ästhetische Fernseh-Linie kreieren.

Wenn man die Geschwindigkeit, die Literatur hat, zulässt, können magische Momente entstehen. Keine Angst vor längeren Gesprächen. Großartig fände ich ausführliche Interviews mit SchriftstellerInnen anstatt ästhetisch immergleiche Kurz-Porträts oder zusammengestückelte Statements zu einem Thema innerhalb einer Sendung.

Bei Lesungen hören oft mehrere hundert Leute stundenlang auf harten Stühlen gebannt zu, obwohl es äußerlich eher karg zugeht: Tisch, Mensch, Wasserglas. Auf diese Bereitschaft dürfen wir uns verlassen.

Gefilmte Lesungen

Gefilmte Lesungen an ganz unterschiedlichen Orten wären eine schöne Idee, in großen Literaturhäusern wie auch in kleinen Buchhandlungen, wo oft grandiose Dinge passieren. Da kämen auch die Zuschauer zu Wort.

Außerdem merken die Leute, ob jemand für Bücher Leidenschaft empfindet oder nicht. Es gibt sehr viele Literaturbegeisterte in diesem Land, denen ich auf meinen Lesungen begegne, Lesekreise, fantastische Veranstalter und Buchhändler, die sehr gut moderieren und diskutieren können, die sich auskennen. Auch denen könnte man hin und wieder eine Bühne bieten.

Darüber hinaus müssten die Redaktionen aufhören, die Literatur als Anreger für Debatten zu benutzen – als wäre ein literarischer Roman bloß die Veranschaulichung eines aktuellen gesellschaftspolitischen Geschehens. Kunst ist nicht Kommentar zu den laufenden Ereignissen, sondern ein eigener Denk- und Wirklichkeitsraum. Der ist weder exotisch noch eskapistisch.

Und noch etwas: Da sich das Fernsehverhalten grundlegend verändert hat, sehr viele Menschen kaum mehr ins laufende Programm schalten, sind übersichtliche und gut zugängliche Mediatheken inzwischen das Wesentliche. Es wäre zum Beispiel ganz wunderbar, wenn man die Möglichkeit hätte, sämtliche Filme zu sehen, die die bisherigen Mainzer Stadtschreiber gedreht haben, gerade die frühen. Das fände ich großartig.


Die Jury:

Der Jury des Mainzer Stadtschreiber Literaturpreises für 2024 gehörten an:

Die Schriftstellerinnen und Schriftsteller:
Prof. Dr. Josef Haslinger
Katja Lange-Müller
Dr. Tilman Spengler
Ilija Trojanow
und als amtierender Stadtschreiber Alois Hotschnig

Für die Landeshauptstadt Mainz:
Kulturdezernentin Marianne Grosse

Für das ZDF:
Programmdirektorin Dr. Nadine Bilke
Leiterin Hauptredaktion Kultur, Anne Reidt
Jury-Vorsitzende Dr. Susanne Becker, Hauptredaktion Kultur
Koordinatorin 3sat, Natalie Müller-Elmau
Literaturredakteur 3sat, Dr. Michael Schmitt

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