Simone Kermes mit neuem Programm »Inferno e Paradiso« zu Gast am Staatstheater Wiesbaden

Simone Kermes (Foto: Sandra Ludewig)

Mit einem „Guten Abend Wiesbaden“ begrüßte die in Leipzig geborene Sopranistin Simone Kermes entspannt und gut gelaunt das sich zurückhaltend gebende Publikum im Großen Saal des Staatstheaters Wiesbaden und zeigte sich erfreut, dass die Akustik mit Publikum deutlich besser ist als ohne. Erst am Abend vor ihrem Konzert im Rahmen der Internationalen Maifestspiele Wiesbaden war die Ausnahmekünstlerin mit den Musikern von Amici Veneziani nach 12-stündiger Busfahrt aus Italien in Wiesbaden angekommen, wo sie zuletzt im Jahr 2000 in der Operette Die Fledermaus zu erleben war. In Italien wurde ihr neues Konzertprogramm »Inferno e Paradiso« aufgenommen, das sie jetzt exklusiv am Staatstheater Wiesbaden als ein Gastgeschenk präsentierte. Erst im nächsten Frühjahr wird sie es auf einer Tournee einem breiten Publikum vorstellen (u.a . in der Hamburg Elbphilharmonie, in Berlin, Hannover, Basel und Paris). Auch die »Inferno e Paradiso«-CD wird erst im nächsten Jahr erscheinen (bei Sony Classical; diesen Februar erschien ihr Album »Mio Caro Händel«).

Zu »Inferno e Paradiso ~ Todsünden und Tugenden« war im Vorfeld wenig und nur Allgemeines bekannt. Moderne Todsünden würden im Kontrast zu alten Tugenden ein Wechselbad der Gefühle entfesseln. Die Ankündigung enthielt Bezüge zu bekannten Barockkomponisten wie Georg Friedrich Händel, Antonio Vivaldi und Johann Adolph Hasse. Allerdings auch den Zusatz „bis zur Neuzeit“. Und das war dann doch die Überraschung des Abends. Denn selbst wenn man von der Primadonna Simone Kermes, der „crazy Queen der Barockoper“, Exzentrik im Auftreten und Kleidungsstil gewohnt ist und sie oft zeigt, dass Oper auch anders als gemein üblich dargestellt werden kann, öffnet sie mit »Inferno e Paradiso« dem Barockgesang ganz neue Wege. Der gebürtige finnische Pianist, Komponist und Arrangeur Jarkko Riihimäki hat für Simone Kermes Pop und Rocksongs in barocke Gestalt gebracht, die das Zeug haben, die Klassikcharts zu stürmen. Sie wurden an diesem Abend uraufgeführt!

Stings einfühlsames „Fields of Gold“, das unter der Tugend „Wohlwollen“ gegeben wird, ist dabei noch das unspektakulärste. Doch wer hätte je gedacht, einmal Udo Jürgens „Aber bitte mit Sahne“ (zur Todsünde „Völlerei“) auf einer Opernbühne zu hören. Doch der Crossoverspagat ist mega gelungen. Das zeigte sich auch bei den beiden weiteren Neuinterpretationen. Lady Gagas „Poker Face“ (zu „Wollust“) und Jimmy Pages (Led Zepplin) „Stairway To Heaven“ (zu „Hochmut“), die hier ganz klassisch mit Koloraturen auf höchstem Niveau gesungen werden. Insoweit braucht sich niemand fürchten. Wer die Songs nicht kennt, denkt, er hört eine Barockkomposition, so harmonisch fügen sie sich in den barocken Stil ein. Und Simone Kermes strahlt mit ihrem lebhaften Vortragsstil und ihrer schier unbändigen Energie souverän über alte wie neue Kompositionen: Verträumt mit Giovanni Ballista Bononcinis „M´incateni e se mi sciogli“ aus dem Oratorium San Nicola di Bari und ganz herausragend lieblich mit Antonio Vivaldis „Gelido in ogni vena“ aus dem Dramma per musica Il Farnace. Losgelöst und lebhaft wie mit dem den Abend offiziell beendende „Se tu non senti, oh dio“ von Johann Adolph Hasse (aus dessen Dramma per musica Cajo Fabricio).
Unterstützt wurde Simone Kermes von dem von ihr 2017 gegründeten Orchester Amici Veneziani, das aus langjährigen und befreundeten Musikerkollegen besteht und vom Violinisten und Konzertmeister Gianpiero Zanocco geleitet wurde und zusätzlich einige Pre- und Interludien spielte (und während des Abends überwiegend stehend auf der Bühne weilte).
Am Ende sehr viel Applaus und Standing Ovations für die innovative Primadonna mit viel Herz, die bei aller Bühnendominanz und Gesangskunst authentisch und sympathisch beim Publikum ankommt und sich mit drei Zugaben bei diesem bedankte.

Markus Gründig, Mai 19


Die Zugaben:
„Con qual nave ch’agitata“ von Riccardo Broschi,
„Lascia ch’io pianga“ von Georg Friedrich Händel (aus der Oper Rinaldo),
und zum Herz- und Seele öffnen und zum gemeinsamen Mitsingen, das 1960er Antikriegslied „Sag mir, wo die Blumen sind“