Oper Frankfurt: »I puritani« überzeugt als Requiem für Vincenzo Bellini

I puritani ~ Oper Frankfurt ~ Lord Arturo Talbo (John Osborn) und Elvira (Brenda Rae) (© Barbara Aumüller ~ www.szenenfoto.de)

Mit Recht zeigt sich die erneute als Opernhaus des Jahres gewürdigte Oper Frankfurt stolz. So wird gegenwärtig u. a. auf Plakaten, Postkarten und auf der Webseite unter der Überschrift „Schon gehört?“ auf die jüngste (und wiederholte) Auszeichnung hingewiesen. Neben dem anhaltend hohen künstlerischen Niveau war bei der Juryentscheidung vor allem die gebotene außergewöhnliche Programmvielfalt abseits populärer Opernhits ausschlaggebend. Diese breite Mischung wird auch in der aktuellen Spielzeit fortgeführt. Nach den zeitgenössischen Opern Lost Highway und Tri sestry, sowie dem Doppelabend Oedipus Rex/Iolanta folgte jetzt ein Opernklassiker aus dem Bereich Belcanto: Vincent Bellinis I puritani.

Bellini, dessen Opern La sonnambula und Norma in den letzten Jahren bereits in Frankfurt gegeben wurden, konzentrierte sich bei seinen Kompositionen ganz besonders auf den Schönklang der Stimmen. „Far piangere cantando“ – „Durch Gesang zum Weinen bringen“ lautete sein Motto, das er ganz besonders bei seinem letzten Werk I puritani umsetzte.
Die kuriose Handlung der dreieinhalb Stunden dauernden Oper (mit einer Pause) ist schnell erzählt. Kurz vor der Hochzeit verschwindet der Bräutigam mit einer anderen Frau (aus für ihn ehrenhaften Gründen). Die Braut droht, verrückt zu werden, doch das Schicksal wendet alles zum Guten, sodass die Hochzeit schließlich doch stattfinden kann.
Das Brautpaar stammt aus unterschiedlichen politischen Gruppen. Sie aus der Bewegung der Puritaner, die die römisch-katholischen Lehren bereinigen (englisch = purification) wollten, er hingegen von den Royalisten (die zur katholischen Kirche hielten). In der Inszenierung von Vincent Boussard wird auf den politischen Konflikt im England des frühen 17. Jahrhundert unter Oliver Cromwell, in dem die Oper eigentlich spielt, weitestgehend verzichtet. Ähnlich wie Claus Guth bei der Neuinszenierung von Léhars Die lustige Witwe im vergangenen Frühjahr, hat auch Vincent Boussard eine Rahmenhandlung aufgesetzt. Vor der Ouvertüre gibt es ein zusätzliches Intro, bei dem eine Frau (die Tänzerin Sofia Pintzou) mit Bellini höchst persönlich flirtet, bis er stirbt. Der unverheiratet gebliebene und nur 34 Jahre alt gewordene Komponist soll einige Musen gehabt haben. Während der Ouvertüre werden verklärte Bilder eines alten Friedhofs auf einen Gazevorhang projiziert (Video: Isabel Robson) und die Oper beginnt mit der Trauerfeier für den gestorbenen Bellini. Die eigentliche Opernhandlung ist dann gewissermaßen eine Erinnerung an ihren Schöpfer, ein Requiem für Bellini. Richtig deutlich wird diese Geschichte in der Geschichte am Ende, wenn die Toten wieder aufstehen und sich als Schauspieler vor ihrem Publikum im Bühnenhintergrund verbeugen. Nachdem auf den Erfolg angestoßen wurde, erschießt sich final die Muse Bellinis.

Das Bühnenbild von Johannes Leiacker spielt dezent auf die Schönheit der Künste an, allerdings in einem ramponierten Zustand. Es zeigt ein mehrstöckiges Logenrund eines abgebrannten Theaters, mit schwarzen Wänden, abgebrochenen Zwischendecken, notdürftig zusammengeschusterten Geländern und Leitern als Behelfstreppen. In der Mitte steht als Bezug zum Komponisten ein Flügel. Es herrscht eine düstere Atmosphäre, die durch einen Gazevorhang noch leicht ins Diffuse gerät. Nur am Anfang und am Ende ist die Bühne frei von diesem Vorhang, durch den, einer Linse gleich, das Geschehen beobachtet werden kann. Die Optik scheint wie ein deutlicher Hinweis, vergangenen Zeiten nicht zu sehr nachzutrauern, aber auch als Mahnmal, die Schönheit der Künste zu erhalten.
Handlungsort ist die Wahlheimat Bellinis: Paris um 1835 (dem Jahr der Uraufführung von I puritani und Bellinis Todesjahr). Farbakzente setzen die opulenten Kleider des französischen Modeschöpfers Christian Lacroix, die Bezug zur damaligen Pariser Mode nehmen. Zahlreiche der weiten und hoch geschlossenen (Reif-) Kleider der Damen sind mit Turnüren ausgestattet. Während der Trauerszene herrscht noch schwarz vor, später wechseln sie von rötlichen, orangen bis zu violetten Farbtönen. Dabei sehen selbst schwarze Kleider, wie das der inhaftierten Henrietta Maria von Frankreich, herrschaftlich und prachtvoll aus. Die Frau, einem Todesengel gleich, hingegen lockt mit freien Armen und Schultern.

I puritani
Oper Frankfurt
Sir Riccardo Forth (Iurii Samoilov) und Elvira (Brenda Rae)
© Barbara Aumüller ~ www.szenenfoto.de

Außerordentlich brillant ist die gesangliche Seite. Brenda Rae, die u. a. schon als Amina in Bellinis La sonnambula Publikum und Presse verzauberte, tut dies ebenso als Elvira. Sie ist die zentrale Figur. Schon von Anfang an umgibt sie eine leichte Verklärung (die sich eigentlich erst später einstellt). Mit starker szenischer Präsenz gibt sie die so tief verletzte Elvira mit großer Emphase, begeistert mit ihrer Fähigkeit, Anteil zu erwecken und betört mit ihrer ausdrucksstarken und dennoch so leicht und unbeschwert wirkenden Sopranstimme. Bellinis Melodienbögen gestaltet sie mustergültig. Nach seinem Werther (in Gunolds gleichnamiger Oper) erneut zu Gast an der Oper Frankfurt ist der US-amerikanische Tenor John Osborn, der betörende Spitzentöne und tenoralen Schmelz als Lord Arturo Talbo vorführt.
Als Elviras vermeintliche Gegenspielerin glänzt die neuseeländische Mezzosopranistin Bianca Andrew. Sie machte bereits vor einem Jahr als Anna in Meyerbeers L´Africaine auf sich Aufmerksam. Sie ist noch Mitglied im Opernstudio. Doch ist sie, wie die Übernahme dieser Partie zeigt, längst bereit für große Rollen. Apropos Opernstudio. Alle weiteren Sänger sind ehemalige Mitglieder des Frankfurter Opernstudios. Trotz aller Fluktuation und Marktmöglichkeiten, die ein Opernbetrieb mit sich bringt, spricht dies sehr für die Personalpolitik des Hauses. Bariton Iurii Samoilov gibt den hoffnungslos in Elvira verliebten Sir Riccardo Forth mit kernigen Ausdruck in Gestalt und Stimme, zeigt sich aber auch sehr wandelbar (beispielsweise wenn er Elvira umklammert und seinem Liebestraum so nah und gleichzeitig doch so weit entfernt ist). Bass Thomas Faulkner verkörpert Elviras achtsamen Vater Lord Gualtiero Valton und Bassbariton Kihwan Sim ihren fürsorglichen Onkel Sir Giorgio. Tenor Michael Porter bringt sich stimmschön als Sir Bruno Roberton ein.
Der Chor (Einstudierung: Tilman Michael) singt zunächst mit Zurückhaltung, um sich dann zunehmend kraftvoller einzubringen. Am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchester sorgt Tito Ceccherini für einen umsichtigen Ton, der die schöne Gesangslinie zart umschmeichelt.
Am Ende kräftiger und langer Applaus für diesen musikalischen Höhenflug.

Markus Gründig, Dezember 18


I puritani
Oper Frankfurt
Sir Riccardo Forth (Iurii Samoilov; unten in der Mitte, mit weißem Hemd und Weste) und Ensemble
(© Barbara Aumüller ~ www.szenenfoto.de)

I puritani
Opera seria in drei Teilen von Vincenzo Bellini

Premiere an der Oper Frankfurt: 2. Dezember 18
Besuchte Vorstellung: 6. Dezember 18

Musikalische Leitung: Tito Ceccherini
Regie: Vincent Boussard
Bühnenbild: Johannes Leiacker
Kostüme: Christian Lacroix
Video: Isabel Robson
Licht: Joachim Klein
Chor: Tilman Michael
Dramaturgie: Zsolt Horpácsy

Besetzung:

Elvira: Brenda Rae / Zuzana Marková
Lord Arturo Talbo: John Osborn
Sir Riccardo Forth: Iurii Samoilov
Lord Gualtiero Valton: Thomas Faulkner
Sir Giorgio: Kihwan Sim
Sir Bruno Roberton: Michael Porter
Enrichetta di Francia: Bianca Andrew / Kelsey Lauritano

Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

www.oper-frankfurt.de