
- Fünf Fragen an Lukas Fricker, Künstlerischer Produktionsleiter der Bregenzer Festspiele
- Interview mit Ulrich Matthes zu Heinrich von Kleists Komödie Der zerbrochne Krug
- „The Faggots And Their Friends Between Revolutions“
- Hör-Spiele ~ der Podcast der Bregenzer Festspiele
- Eine ganze Stadt wird zum Festival
- Festival-Potpourri
Fünf Fragen an Lukas Fricker, Künstlerischer Produktionsleiter der Bregenzer Festspiele
Seine zweite Festspielsaison erlebt Lukas Fricker. Der Künstlerische Produktionsleiter hatte Saxophon studiert, bevor er 2018 ins Musikmanagement einstieg – zunächst bei den Donaueschinger Musiktagen (einem Festival für Neue Musik) und danach beim Ensemble Musikfabrik Köln. In Bregenz hat er die Opern auf der Seebühne und im Festspielhaus im Blick – und das nicht nur für dieses Jahr.
Inwiefern helfen Ihnen die Fachkenntnisse als studierter Musiker?
Meine Erfahrung als Musiker hilft mir insofern, als ich selbst weiß, wie Musiker:innen ticken, was ihnen wichtig ist. Ich kann mich gut mit den Stücken befassen, zum Beispiel mithilfe des Klavierauszugs. Es hilft mir auch dabei, Ideen eines Regisseurs besser nachzuvollziehen.
Ihr Jobtitel lautet „Künstlerischer Produktionsleiter Seebühne und Hausoper“. Was genau bedeutet das?
Grundsätzlich ist meine Aufgabe, die Umsetzung des künstlerischen Konzepts von Regie und Bühnenbild zu begleiten und als Vermittler zu unseren einzelnen Abteilungen zu wirken– von der ersten Idee bis zur Premiere. Meine Arbeit ist vielseitig. Vom Herbst bis zum Frühjahr bin ich mit Planen beschäftigt. Ich handle Verträge mit Künstler:innen vom Kostümbildner bis zu Solistin, von der Tänzerin bis zum Stuntman aus. Dispo-Aufgaben kommen dazu: Ich erstelle Probenpläne und stimme sie mit den anderen Abteilungen und dem Regieteam ab. Im Sommer betreue ich vor allem den Probenbetrieb. Gleichzeitig starten die Vorbereitungen für die nächsten Jahre.
Wie viel Jahre Vorlauf hat eine Oper auf der Seebühne?
Drei bis vier. Für den Freischütz, 2024 und 2025 auf der Seebühne, planen wir bereits sehr viel im Detail. Für La Traviata (2026 und 2027) geht es auch los. In der heißen Phase jetzt stehen für mich selbstverständlich Madame Butterfly und die aktuelle Oper im Festspielhaus Ernani im Vordergrund.
Was ist für Sie und Ihr Team der Maßstab für einen gelungenen Opernabend hier in Bregenz?
Natürlich sollen die Aufführungen im Idealfall ohne Pannen über die Bühne gehen. Das Feedback des Dirigenten spielt für mich eine Rolle. Das wichtigste Kriterium für mich ist aber die Reaktion des Publikums, die durchaus unterschiedlich ausfallen kann. Interessanterweise sind oft die Aufführungen bei schlechtem Wetter jene, bei denen es am meisten Applaus gibt.
Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?
Es entsteht eine besondere Beziehung zwischen den Sänger:innen auf der einen und dem Publikum auf der anderen Seite. Die Künstler:innen denken sich: Oje, da sitzen bei diesem Wetter fast 7.000 Leute auf der Tribüne, jetzt gebe ich erst recht mein Bestes. Und das Publikum denkt sich: Wenn auf der Bühne gespielt wird, macht es mir auch nichts aus, zwei Stunden bei nicht ganz so tollem Wetter zu sitzen. Erfreulicherweise haben wir aber meistens schönes Sommerwetter.
Interview mit Ulrich Matthes zu Heinrich von Kleists Komödie Der zerbrochne Krug
Ulrich Matthes erzählt, warum eine Premiere für ihn wie ein Zwischenbahnhof ist, was Heinrich von Kleists Komödie Der zerbrochne Krug so zeitgemäß macht und wie seine tagesaktuellen Lieblingskomponisten heißen.
Herr Matthes, seit 2004 sind Sie Ensemblemitglied des Deutschen Theaters Berlin. Was ist für Sie das Schönste am Beruf eines Theaterschauspielers?
Ulrich Matthes: Zweierlei. Da ist die lange Probenzeit von sechs bis acht Wochen, in denen man gemeinsam Umwege gehen kann. Es ist ein Prozess, von dem alle Beteiligten wissen, er landet irgendwann an dieser künstlich festgelegten Station, nämlich der Premiere. Auf dieses Datum arbeiten alle hin, in dem Wissen, dass man das Stück dann jahrelang spielt. Insofern erreicht man bei der Premiere einen Zwischenbahnhof, von dem es im Laufe der Aufführungen in die unterschiedlichsten Richtungen weitergeht – mit dem Gerüst dessen, was man in den wochenlangen Proben erarbeitet hat. Diese Art des Suchens nach dem angemessenen Ausdruck, nach einer Wahrhaftigkeit, die mit dem Stück zu tun hat, die sich spiegelt in den Augen der Regie, das ist das eine Schöne an meinem Beruf. Das andere Schöne sind die Energien einer Vorstellung. Ich habe weit ausgefahrene Antennen in Richtung des Publikums und in Richtung meiner Kolleg:innen. Aus den Energien auf der Bühne und aus den Energien, die mir aus dem Zuschauerraum entgegenschwappen, entsteht die einzigartige Energie eines Abends.
Anders läuft es bei Film und Fernsehen. Sie spielten unter anderem Joseph Goebbels in Der Untergang und Adolf Hitler in München – Im Angesicht des Krieges, Sie waren mehrfach im Tatort zu sehen. Was ist das Tolle daran, vor der Kamera zu agieren?
Beim Film bereite ich mich minutiös vor, den Text kann ich im Schlaf. Und dann kommt das Augenblickhafte der Aufnahme, von dem man weiß, jetzt gilt es, jetzt wird es quasi für die Ewigkeit festgehalten. Auch wenn die Einstellung dann wiederholt wird: Man hat immer das Gefühl, jetzt gilt’s! Diese Art der Hochkonzentration ist anders als im Theater, wo ich eine Bühne für lange Zeit mit der eigenen Präsenz füllen und bis in die letzte Reihe dringen muss. Im Film muss man den Text nur denken oder fühlen und die Kamera nimmt es wahr. Im Vertrauen auf diesen Wunderapparat muss man nichts spielen, sondern nur in der Situation sein.
Was ist Ihre Grundmotivation als Schauspieler?
Die Grundmotivation ist seit meinen fohlenhaften Anfängen absolut die gleiche geblieben, zum Glück! Meine Leidenschaft und mein Wille zur Wahrhaftigkeit, irgendwo glüht dieser Kern immer noch in mir. Ich will jetzt nicht zu pathetisch werden, das verbietet mir schon allein die Tatsache, dass ich Berliner bin: Aber ich liebe die Proben, ich liebe die Vorstellungen, ich liebe die Arbeit vor der Kamera.
Sie hatten bereits als Kind erste Fernsehrollen. Wie ging es weiter?
Als ich ungefähr zwölf Jahre alt war, haben mir meine Eltern das untersagt, weil sie das Gefühl hatten, ich werde ein bisschen hochnäsig. Sie hatten sicher recht! Später studierte ich meine beiden Lieblingsfächer Deutsch und Englisch, um Lehrer zu werden, brach aber nach fünf Semestern ab. Offenbar ist der Glutkern in mir ausgebrochen, und dann bin ich eben doch Schauspieler geworden und habe es bis zum heutigen Tage nicht bereut.
Zwei Mal wurden Sie von der Fachzeitschrift „Theater heute“ als Schauspieler des Jahres gewählt, Sie erhielten den Bayerischen Filmpreis, den Deutschen Theaterpreis „Der Faust“, den Grimme-Preis, die Goldene Kamera und das Deutsche Bundesverdienstkreuz. Alles Auszeichnungen einer großartigen Karriere. Wie haben Sie auf Ihrem Weg Entscheidungen gefällt?
Ich bin ein sehr intuitiver Mensch und bin in den wesentlichen Momenten meines Lebens immer erstmal meiner Intuition gefolgt und danach habe ich darüber nachgedacht. Sowohl privat als auch beruflich. Zum Beispiel habe ich mich für eine Schnitzler-Arbeit – ich liebe Schnitzler! – mit Christian Petzold entschieden und dafür ein Angebot aus Hollywood für einen Film mit Regisseur Peter Weir abgelehnt. Vielleicht war die Entscheidung im Nachhinein falsch, aber so hat es mein Bauch mir nun mal gesagt.
Bei den Bregenzer Festspielen treten Sie in einer knackigen 90-Minuten Inszenierung als Richter Adam in Heinrich von Kleists Komödie Der zerbrochne Krug auf.
Mit dieser Rolle geht ein Herzenswunsch in Erfüllung. Und ein zweites Schmankerl wurde mir erfüllt durch die Zusammenarbeit mit Regisseurin Anne Lenk. Sie nimmt Autor:innen sehr ernst, tritt ihnen auf respektvolle Weise gegenüber, holt sie aber doch ins Heute. Und heute ist MeToo ein großes Thema, das uns alle bewegen sollte. Insofern kann man dieses Stück nicht mehr so erzählen, wie es bislang oft üblich war, nämlich als lustige Geschichte von einem Richter, der der Eve halt mal ein bisschen an den Busen gefasst hat, Schwamm drüber. Adam ist ein übergriffiger Täter! Eve tut gut daran, dass sie am Schluss erzählt, wie sich die Geschichte um den zerbrochenen Krug wirklich abgespielt hat.
Letztendlich geht es um Machtmissbrauch und Korruption in einem Dorf. Dazu ist jedoch eine gesellschaftliche Struktur nötig, in der das geschehen kann.
Natürlich, und alle Figuren haben erstmal Angst vor den beiden Autoritätspersonen, dem Richter und dem Gerichtsrat Walter, die bei uns eine Gerichtsrätin ist. Doch im Laufe des Stücks wird Adam von allen anderen Figuren vom Sockel gestoßen. Ich spiele Adam in dem Bewusstsein, dass es heute Politiker gibt, die ihre unendliche Macht missbrauchen und denken: »Mir passiert gar nichts«. Trump zum Beispiel. Im Mikrokosmos des Dorfes stürzt Adam: Eine Gesellschaft kann sich also wehren! Kleists Genie ist es, Anfang des 19. Jahrhunderts ein Stück zu schreiben, das man im Jahr 2023 – bis auf eine winzige Stelle – im Originaltext als Komödie spielen und in dem man trotzdem einen Täter mit MeToo bloßstellen kann.
Sind Witz und Komik in Kleists Freude an Wortspiel und Doppeldeutigkeit zu finden?
Es gibt wirklich viel zu lachen in unserer Aufführung. Kleists Text ist hochmusikalisch, sein Versmaß berückend schön, jeder Gedankenstrich hat eine Bedeutung. Ich liebe Kleist auch deshalb, weil ich musikalisch bin. Lustig ist auch das sehr gestische Sprechen: Man unterbricht sich mitten im Satz oder man hangelt sich von Einschub zu Einschub. Ich freue mich, wenn ich Lachen aus dem Publikum höre. Natürlich ist es auch schön, wenn die Menschen vor lauter Rührung schweigen. Generell gilt am Theater: immer her mit den Tränen, dem Lachen, den Emotionen. Raus damit!
Bei den Bregenzer Festspielen dreht sich – abgesehen von den Aufführungen des Deutschen Theaters und des Burgtheaters – alles um Oper, Musiktheater und Konzerte. Haben Sie eine:n Liebling unter den Komponist:innen?
Wenn ich mich festlegen müsste, würde ich sagen: Mozart. Oha, das sieht jetzt so aus, als ob ich mich einschleimen möchte in Österreich. An anderen Tagen würde ich sagen: Schubert. Auch ein Österreicher! Wenn mich ein New Yorker fragt, würde ich vielleicht sagen: »Was kost’ die Welt – Gershwin!« Da gibt es eine Stelle in seinem Klavierkonzert, da kommen mir immer die Tränen.
Franz Schuberts Musik erklingt auch, wenn Sie bei den Festspielen im Rahmen der Reihe Musik & Poesie Kleists Das Erdbeben in Chili lesen.
Kleist entwirft in dieser Erzählung das Ideal einer friedliebenden Menschheit und zerstört es gegen Ende radikal. Sie ist eine der irrsten Geschichten in deutscher Sprache. Ich habe sie oft vorgelesen, die Menschen sind sehr bewegt danach. Bei Schubert ist es dasselbe in Grün. Er erfand die allerschönsten Melodien, aber sie führen auch in die Abgründe der menschlichen Seele.
Auf YouTube findet sich der Trailer zu Der zerbrochne Krug des Deutschen Theater Berlins: youtu.be. (Ingrid Lughofer)
„The Faggots And Their Friends Between Revolutions“
Am Donnerstag, 29. Juni 2023, feierte das Musiktheater The Faggots And Their Friends Between Revolutions im Rahmen des Manchester International Festival seine umjubeltet Uraufführung.
Das neue Werk von Ted Huffman (Libretto | Inszenierung) und Philip Venables (Komposition) eröffnet den Zuschauer:innen nicht zuletzt durch das Aufgreifen unterschiedlicher Musikstile, vom mittelalterlichen Trauergesang bis hin zu Techno und Singalong, neue Perspektiven auf die Musikgeschichte, so wie das zugrundeliegende Buch eine alternative Erzählweise der Geschichte der Menschheit anbietet und uns einen anderen Blick auf die Welt eröffnet.
Am 27. Juli und 28. Juli wird das Musiktheater in Bregenz zu erleben sein.
Auftragswerk der Factory International, des Festival d’Aix-en-Provence, der Bregenzer Festspiele, des Southbank Centre, London und der NYU Skirball in Zusammenarbeit mit dem Holland Festival. Eine Produktion der Factory International für das Manchester International Festival.
Hör-Spiele ~ der Podcast der Bregenzer Festspiele
Bühne frei für Hör-Spiele den Podcast der Bregenzer Festspiele. Hier erwarten die Zuhörer:innen spannende Hintergründe zu Komponisten, Werken und Inszenierungen sowie Erläuterungen von Mitwirkenden rund um das Programm der Bregenzer Festspiele.
Abonnierbar ist der Podcast bei: Spotify, Apple Podcast, Google Podcasts und Amazon Music.
Podcastfolge Japanbilder
Gleich zwei Opern, die im diesjährigen Festspielsommer zur Aufführung gelangen, spielen in Japan: Giacomo Puccinis Seelendrama Madame Butterfly und das zeitgenössische Musiktheater Die Judith von Shimoda des argentinischen Komponisten Fabián Panisello, das bei den diesjährigen Bregenzer Festspielen seine Uraufführung feiern wird. In beiden Opern steht eine Geisha im Zentrum, in beiden begeht die Titelfigur Suizid und in beiden Werken geht es um das ungleiche Aufeinandertreffen von »Ost« und »West«.
Gesprächspartner:innen
Prof. Dr. Ingrid Fritsch, Musikwissenschaftlerin und Japanologin an der Universität zu Köln
Prof. Dr. Jan Knopf, Leiter der Arbeitsstelle Bertolt Brecht in Karlsruhe, Herausgeber des Brecht-Handbuches und Mitherausgeber der Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Werkausgabe
Dr. Richard Erkens, Direktor des Deutschen Studienzentrums in Venedig und Herausgeber des Puccini-Handbuchs
Puccinis Musikbox im Morris Museum, New Jersey. Kurzdokumentation mit dem Musikwissenschaftler Prof Dr. Anthony Sheppard auf YouTube: youtube.com
Eine ganze Stadt wird zum Festival ~ Bregenzer Händler schmücken Schaufenster
Rund 35 Mitglieder der Wirtschaftsgemeinschaft Bregenz (WIGEM) folgten der Einladung von Bregenzer Festspielen und Bregenzer Stadtmarketing, um Dekorationsartikel rund um Madame Butterfly entgegenzunehmen.
Damit schmücken die Bregenzer Einzelhändler ihre Schaufenster und verbreiten Festspielflair. Höhepunkt des Abends war der Probenbesuch auf der Seebühne.
Außerdem boten Intendantin Elisabeth Sobotka, Produktionsleiter Lukas Fricker und Pressesprecher Axel Renner exklusive Einblicke ins Programm.
Festival-Potpourri
Einzigartiger Sonnenuntergang: Barno Ismatullaeva (Cio-Cio-San) zeigt von ihrem Arbeitsplatz aus, der Seebühne, den wunderschönen Sonnenuntergang über dem Bodensee.
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Happy Mazzola: Enrique Mazzola (Conductor in Residence) probt mit den Wiener Symphonikern für die Oper im Festspielhaus Ernani und zeigt mit dem #happymazzola, wieviel Spaß es ihm bereitet.
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Returning Silva: Goran Jurić zeigt in seiner Instagram Story, wie sehr er sich freut wieder zurück in Bregenz zu sein, dieses Jahr als Don Ruy Gomez de Silva in der Oper im Festspielhaus Ernani.
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Stay tuned: Annalisa Stroppa (Suzuki) ist bei den Proben für Madame Butterfly angekommen und wird ab dem 20. Juli einen Monat lang auf der Seebühne zu sehen sein. An welchen Tagen sie letztendlich auftreten wird, wird bald bekannt gegeben.
Die Bregenzer Festspiele 2023 finden von 19. Juli bis 20. August statt.
Tickets und Infos unter bregenzerfestspiele.com und Telefon 0043 5574 4076.