Intensiver Blick auf »Cabaret« am English Theatre Frankfurt

Cabaret ~ English Theatre Frankfurt ~ Cliff (Ryan Saunders), Sally Bowles (Helen Reuben) (© Martin Kaufhold)

Das Ankündigungsfoto zu Cabaret am English Theatre Frankfurt ist provokant und etwas obszön. Es zeigt das Bildnis eines glatzköpfigen, mit Asche eingeriebenen Mannes, die Augen geschlossen, dafür ist der Mund weit geöffnet und die Zunge hängt heraus. Im Hintergrund sind schwarze Balken zu erkennen, die Teile eines Hakenkreuzes sein können. Das Bild verkündet schon vorab, dass diese Cabaret-Inszenierung anders als üblich ausfallen wird.Doch ist sie das dann auch tatsächlich?

Durchaus, wenn auchnicht im Sinne eines Skandals. Die Inszenierung von Tom Littler, der ebenso wie Bühnen- und Kostümdesigner Simon Kenny, bereits mehrfach Stücke am English Theatre Frankfurt erarbeitet hat, ist rundherum hervorragend gelungen, bietet musikalisch und optisch Hervorragendes und setzt dennoch zahlreiche kritische Noten, die sonst oftmals nicht in einer derartigen Deutlichkeit gezeigt werden. Schließlich geht es neben heißen und frivolen Tanzszenen und bekannter Songs („Willkommen“, Don’t Tell Mama“, “Money“ oder „Cabaret“) auch um die Gefahr politischer Teilnahmslosigkeit, um schleichende gesellschaftliche Veränderungen hin zu wachsenden nationalistischen Strömungen.

Im Mittelpunkt von Cabaret steht die Geschichte des US-Schriftstellers Cliff Bradshaw (sympathisch: Ryan Saunders), der in den früher 1930ern erstmals Berlin bereist und im frivolen Kit-Kat-Club die Tänzerin Sally Bowles kennen und lieben lernt. Eine Liebe, die, nicht zuletzt angesichts der Zeit, nicht von Dauer ist.

Mit einer angedeuteten Bahnhofshalle und einem großen Waggon zeigt das English Theatre Frankfurt wieder einmal ein imposantes Bühnenbild. Die Halle, die für das Reisen aber auch für all die Unruhe im Leben und ständige Veränderungen steht, dient als Einheitsbühnenraum. Mit ein paar Kisten und einem seitlichen Plateau, entstehen schnell das Innere des Kit-Kat-Clubs, FräuleinSchneiders (pragmatisch: Sarah Shelton) Pension oder der Laden des jüdischen Obsthändlers Herrn Schultz (fürsorglich und schüchtern: Richard Derrington).
Erfreulich ist, dass die Band stets sichtbarintegriert ist. Anfangs noch hinter den Glasscheiben des Waggons, doch mit Öffnen der Falttüren dann ganz offensichtlich (Musikalische Leitung und Orchestrierung: Tom Attwood). Zwei Darsteller sind zudem auch als Saxofon spielende Musiker Teil der Band: Der spätere offen als Nazi auftretende Ernst Ludwig (markant: Matt Blaker) und Fräulein Kost (dominant und geschäftstüchtig: Lindsay Goodhead; zusätzlich eine Klarinette spielend und anstelle eines Kindes den Song „Tommorow Belongs to Me“ anstimmend).

Schon die Eröffnungsnummer „Willkommen“ ist ein gelungener energiegeladener Auftakt. Sind zunächst an- und abreisende Gäste in dicken Mänteln zu sehen, sorgt der Emcee (großartig extravagant und dennoch stets charmant: Greg Castiglioni) dafür, dass schnell die Hüllen fallen und die Zuschauer all ihre Alltagsprobleme im Nuvergessen. Dabei ist insbesondere die Figur der Sally Bowles, die von der jungen Helen Reuben gespielt wird, nicht als Glanzrolle angelegt. Es ist eine zunächst starke Persönlichkeit, die aber zunehmendinnerlich zerbricht und sich den Versuchungen von Suchtmitteln nicht entziehen kann. Herausragend schon ihr „Maybe this time“, aber vor allem der Titelsong fällt total aus dem üblichen Rahmen. Die junge Helen Reuben gibt ihn als einen ins Mark gehenden verzweifelten Schrei, das Schicksal der besungenen Freundin Elsie ganz auf sich beziehend.

Als Tänzerinnen und Tänzer des Kit Kat Clubsbegeistern unter der fordernden Choreografie von Cydney Uffindell-Phillips: Hannah Cauchi (French), Lawrence Guntert (Victor), Dominique Jackson (Lulu), Hendrick January (Bobby), CharisMurray ( Rosie), Adam O’ Shea (Clubeigentümer Max) und MilesPaloma (Hans).

Großer Jubelapplaus am Ende.


Markus Gründig, November 18


Cabaret

English Theatre Frankfurt
Emcee (GregCastiglioni) und Ensemble
© Martin Kaufhold


Cabaret

Musical von: John Kander (Musik), Fred Ebb (Songtexte) und Joe Masteroff (Script)

Premiere am English Theatre Frankfurt: 3. November18
Besuchte Vorstellung: 3. November 18

Regie: TomLittler
Musikalische Leitung und Orchestrierung: Tom Attwood
Choreografie: Cydney Uffindell-Phillips
Ausstattung: SimonKenny
Lichtdesign: Richard G. Jones
Sounddesign: Stephan Weber

Besetzung (in alphabetischer Reihenfolge):

Ernst: MattBlaker Saxofon Nazi
Emcee: Greg Castiglioni
French: HannahCauchi
HerrSchultz: Richard Derrington
Fräulein Kost: LindsayGoodhead Saxofon und Klarinette
Victor: Lawrence Guntert
Lulu: Dominique Jackson
Bobby: Hendrick January
Rosie / Swing: CharisMurray
Max: Adam O’ Shea
Hans / Swing: Miles Paloma
SallyBowles: Helen Reuben
Cliff: Ryan Saunders
Fräulein Schneider: Sarah Shelton

Spielzeit bis 10. März19

www.english-theatre.de