
Zyklus «Wandel» 2023 – 2025: Konturen mit starken Themen für Gstaad Menuhin Festival & Academy
«Die Welt befindet sich in einem Wandel», sagt Christoph Müller, Artistic Director von Gstaad Menuhin Festival & Academy. Da habe man als weltweit renommiertes Klassikfestival die Verantwortung, «sowohl mit unserem eigenen Handeln als auch in musikalischer Perspektive auf die Herausforderungen unserer Zeit einzugehen.»
So regen seit 2023 über den Zeitraum von drei Jahren starke Themen unter dem Motto «Wandel» bei Gstaad Menuhin Festival & Academy erfolgreich zum Nachdenken an: «Demut» stand als erstes Thema im Spannungsfeld zwischen Krise, Krieg und Klimawandel über der Festivalausgabe 2023. Nach «Transformation» beim Festival 2024 ist 2025 nun «Migration» Programmschwerpunkt der 69. Festivaledition (18. Juli bis 6. September 2025).
Zählt doch das Thema der Migration neben dem Klimawandel, den weltweiten Kriegsgeschehnissen sowie den damit einhergehenden Folgen zu den grössten globalen Herausforderungen für Politik und Gesellschaft. «Kaum eine Kunstrichtung spiegelt dieses Spannungsfeld zwischen Leiden, Sehnsucht und Hoffnung so eindrucksvoll wie die Musik», bekräftigt Christoph Müller.
Die Phänomene der Migration werden dabei im Festivalprogramm auf vier Ebenen in musikalische Zusammenhänge gestellt:
- «Origin» fokussiert die Musik der Heimat,
- «Escape to Exile» die Musik der Flucht und aus dem Exil.
- «Inner Emigration» widmet sich der Musik von Komponist*innen aus unterdrückten politischen Systemen oder von denjenigen, die sich (gezwungen oder freiwillig) in ihr eigenes Inneres zurückziehen und somit den Weg der Selbstbefreiung finden.
- «Nostalgia» hingegen drückt die Sehnsucht nach der freiwillig oder unfreiwillig verlassenen Heimat aus, das Gefühl von Heimweh.
Die Ausgaben 2023, 2024 und 2025 von Gstaad Menuhin Festival & Academy werden durch innovative Projekte aus dem Laboratorium von Patricia Kopatchinskaja begleitet. Innerhalb der Konzertreihe «Music for the Planet» werden Programme präsentiert, die eindrucksvolle und eindringliche Botschaften über den Zustand von Natur, Menschheit und Gesellschaft präsentieren. Dabei werden Genres und Stile feinsinnig gemischt und damit markante Ausrufezeichen zum Zustand der Welt gesetzt. Für künstlerische Gesamterlebnisse jenseits festgefahrener Konzertformate.

© Adrian Moser
Christoph Müller sorgt 2025 noch einmal für deutliche programmatische Konturen und verabschiedet sich am Ende der Festivaledition nach ganzen 24 erfolgreichen Jahren. Daniel Hope beginnt seine Intendanz im Rahmen von Gstaad Menuhin Festival & Academy 2026, der 70. Ausgabe des nach seinem Gründer Yehudi Menuhin benannten Festivals.
Info zur Nachhaltigkeit:
Wie für jedes Event und Unternehmen sind auch für Gstaad Menuhin Festival & Academy die Themen Nachhaltigkeit und Klimawandel wichtig. Sie werden mit Priorität und Nachdruck auf die Agenda gesetzt. Unter anderem soll eine moderne und adäquate Festivalorganisation aktiv zum Erreichen der Klimaziele beitragen. So wird auch der dreijährige «Wandel»-Zyklus ganzheitlich und nachhaltig abgerundet. Gäste, Öffentlichkeit und Partner wie auch Sponsoren dürfen sich auf weiterhin Einzigartiges in und aus Gstaad freuen.
Rückblick 2023: Wandel I – «Demut»
- Demut & Natur
- Demut & Vorbilder (Bach-Schwerpunkt)
- Demut & Glaube
Mit «Demut» sollten 2023 die Sinne für unsere Haltung gegenüber der Natur, aber auch gegenüber den Mächten geschärft werden, die nicht in unseren Händen liegen. Demut als eine in unserer Gesellschaft sehr präsente Lebenshaltung der aktuellen Jahre zwischen Pandemie, Krieg und Klimawandel: darauf fokussierte eine Vielzahl von Programmen im Festivalsommer 2023.
Denn nach einer durch die Auswirkungen der Pandemie und des Kriegsgeschehens bedingten Weltkrise erhalten Werte wie Demut, Bescheidenheit und Respekt eine neue Bedeutung. In der Religion, dem individuellen Glauben und der Spiritualität bedeutet Demut wiederum eine Geisteshaltung, bei der sich der Mensch in Erkenntnis der eigenen Unvollkommenheit dem göttlichen Willen unterwirft.
Diese Haltung spiegelt sich vor allem in der Musik von J.S. Bachs, die in der Festivalausgabe 2023 sehr präsent war. Anlässlich der Eröffnung des Festivals wurde zudem das Projekt «Mission Menuhin» lanciert, mit dem Gstaad Menuhin Festival & Academy die Massnahmen auf dem Weg zu einem ressourcenschonenderen und nachhaltigeren Festival Schritt für Schritt dokumentiert und publiziert.
Rückblick 2024: Wandel II – «Transformation»
- Trans-zendenz
- Trans-Mission
- Trans-Classics
«Transformation»: Für die Entwicklung der Gesellschaft von morgen sind effiziente Veränderungen unabdingbar – allein die digitale Transformation bringt tiefgreifende Auswirkungen mit sich. Doch alles, was sich verändern soll, muss transformiert werden. Festhalten am Alten bedeutet Stagnation, Innovationen sind gefragt. Durch die ständige Suche nach Unbekanntem befindet sich die Kulturszene in einem nicht aufzuhaltenden Veränderungsprozess, durch den sie ihre Umgebung ständig neu beleuchtet. Transformationsprozesse sind dabei begleitet durch den Mut, Neues zu gestalten und Wagnissen zu begegnen. Das erfordert immer wieder nicht nur Konsequenz, sondern auch Radikalität im künstlerischen Ausdruck. Um Relevanz zu bewahren, braucht es neue Konzertformen und Ausdrucksweisen, die im Hinblick auf den kulturellen Auftrag breitenwirksam ansprechen können.
Inhalt der Trans-Mission ist die Weitergabe von Wissen, Kultur und Traditionen über Epochen hinweg. Was Gstaad Menuhin Festival & Academy seit Jahren im Geiste des Festivalgründers Yehudi Menuhin in den Akademien lebt und praktiziert, wurde 2024 Teil des Programms: Sei es Mozart, der in seinen Haydn gewidmeten Quartetten sein Idol ehrt, oder die Verarbeitung einer durch Wagner geprägten Harmonik und Gestik durch Bruckner (7. Sinfonie). Dass sich das Festival auch selbst transformiert, zeigte Trans-Classics: Das Live-Erlebnis Konzert aus Mustern und Routinen rauszuholen war ebenso Ziel wie die Begegnung von Genres, Stile und Epochen in innovativen Programmen. Was Wandel und Transformation in uns allen bewirkt? Die Edition 2024 bot Gelegenheiten, Antworten darauf zu finden.
2025: Wandel III – «Migration» (18.07. – 06.09.2025)
«Migration» und Unterthemen:
- «Origin»: Musik aus der Heimat
- «Inner Emigration»: verbunden mit Schostakowitschs 50. Todesjahr
- «Escape to Exile»: Musik der Vertreibung/Flucht und aus dem Exil
- «Nostalgia»: Sehnsucht nach der Heimat, nicht erzwungene Emigration, Heimweh
Das Verlassen der Heimat, freiwillig oder gezwungen und Neuanfänge im Exil bedeuten immer auch Brüche in Biografien. Rund 40% der Schweizer Bevölkerung hatten im Jahr 2022 einen Migrationshintergrund. Sich einzulassen auf Neues, Unbekanntes und Ungewohntes beginnt alltäglich bereits beim «Italiener ums Eck» oder der Kebab-Bude am Bahnhof. Die Dimension dieser Prozesse mit Musik aufzuzeigen ist die Zielsetzung, die das Festival 2025 begleitet.
Denn kaum eine Kunstrichtung spiegelt das Spannungsfeld der Migration zwischen Leiden, Sehnsucht und Hoffnung so eindrucksvoll wie die Musik. Zentrale Begriffe wie Erinnerung, Identität und Zugehörigkeit werden Teil einer kraftspendenden Ausdrucksform. Musik wird zum Medium der unstillbaren Sehnsucht nach dem Vertrauten, Verlorenen, Zurückgelassenen. Sie ist aber auch eine Art «Datenspeicher» von Geflüchteten oder Menschen mit Migrationshintergrund. Musik trägt das Potential in sich, Erinnerungsort zu sein. Musik transferiert aber auch Wissen und Können durch geflüchtete oder emigrierte ausübende Musiker*innen und Komponist*innen und führt so zu interkulturellem Austausch und einer spannenden Neugestaltung gesellschaftlicher Strukturen.
Das Thema der Migration wird im kommenden Festivalprogramm durch die Perspektive individueller Lebensrealitäten greifbar: Zahlreiche der auftretenden Musiker*innen tragen Erlebnisse von Flucht und Neuanfängen im Exil, von politischer Unterdrückung und Reiseeinschränkungen, von Krieg oder gar Verfolgung in sich oder leben mit dem Empfinden der Sehnsucht nach Heimat, künstlerischer Freiheit oder dem Wunsch nach Frieden und Gerechtigkeit in der zurückgelassenen Heimat. Dies verleiht dem Thema eine greifbare Authentizität und Unmittelbarkeit.

(© Fethi Karaduman)
Gstaad Menuhin Festival & Academy behandelt 2025 die Phänomene der Migration auf vier Ebenen: «Origin» fokussiert die Musik der Heimat, «Escape to Exile» die Musik der Flucht und aus dem Exil. «Inner Emigration» widmet sich der Musik von Komponist*innen aus unterdrückten politischen Systemen oder von denjenigen, die sich (gezwungen oder freiwillig) in ihr eigenes Inneres zurückziehen und somit den Weg der Selbstbefreiung finden. «Nostalgia» hingegen drückt die Sehnsucht nach der freiwillig oder unfreiwillig verlassenen Heimat aus, das Gefühl von Heimweh. Artist in Residence ist der türkische Ausnahme-Pianist Fazil Say.
Migration in der Musik, Festivalausgabe 2025, Beispiele:
- Origin: Musiker und ihre Heimat: Avi Avitals «Mediterraneo», Fazil Says Hommage an seine Heimatstadt Istanbul oder Regula Mühlemanns «Heimat»
- Inner Emigration: Schostakowitchs Kammermusik mit u.a. Sol Gabetta, seine Sinfonien und sein 2. Cellokonzert, Rachmaninovs 2. Sinfonie mit dem Tonhalle-Orchester Zürich und dem Gstaad Festival Orchestra, Beethovens 3 letzte Klaviersonaten (in völliger Taubheit komponiert) mit Vikingur Olafsson
- Escape to Exil: Händels «Israel in Egypt», «Wurzeln im Exil»: P. Kopatchinskaja mit Panufnik, moldawischer Volksmusik und Ysaÿe, L’Arpeggiatas «West-Balkanroute»-Programm, Musik aus dem amerikanischen Exil mit Schulhoff, Jacobi, Hindemit mit Asya Fateyeva, Saxophon
- Nostalgia – Musik als Erinnerung einer vergangenen Zeit und Heimat: Bomsori Kims «nostalgie française», Daniil Trifonovs «sleeping beauty», Bizets Verarbeitung alter südfranzösischer Melodien in Arlésienne, Dvoraks Heimweh in seinem «amerikanischen» Streichquartett und der 9. Sinfonie
Music for the Planet 2025: Zyklus III
Projekte 2025: Klimawandel, Umbrüche und Exil
1.) Inner Emigration II: Unauffälliger Rebell
So 3. August 2025, 18.00 Uhr, Kirche Saanen – Kammermusikfest – Music for the Planet I
Patricia Kopatchinskaja, Violine
Sol Gabetta, Violoncello
Francesco Piemontesi, Klavier
Meret Matter Lesung/Schauspielerin, Texte in deutscher Sprache
Dmitri Schostakowitsch (1906 – 1975):
Sonate für Cello und Klavier d-Moll op. 40
Piano Trio Nr. 2 in e-Moll op. 67
Franz Hohler: ausgewählte Gedichte und Texte
– «Wann wird das sein?», 1973, mit einer textlichen Erweiterung von Franz Hohler des Jahres 2025
– «Die Schöpfung»
– «Die Göttin»
2.) «Wurzeln im Exil»
Fr 8. August 2025, 19.30 Uhr, Kirche Saanen – Orchesterkonzert – Music for the Planet II
Camerata Bern
Patricia Kopatchinskaja, Violine
audiovisuelle Begleitung, Bilder: Marco Borggreve
Andrzej Panufnik (1914–1991): Aus Arbor Cosmica: I. Andante moderato
From Moldavian folklore: Cucuşor cu pană sură
Andrzej Panufnik: From Arbor Cosmica: IV. Prestissimo possibile
Eugène Ysaÿe (1858–1931): Exil! op. 25, poème symphonique for high strings
Heinz Holliger (*1939): From Duöli: Tröpfli
Andrzej Panufnik: From Arbor Cosmica: VI Lento moderato – vivacissimo
PatKop: Intermezzo I for Strings and Cembalo
Alfred Schnittke (1934–1998): Sonata for Cello and Piano No 1.
Arrangiert für Cello, Streicher und Cembalo von Martin Merker (2020)
Andrzej Panufnik: From Arbor Cosmica: VIII Molto allegro
PatKop: Intermezzo II for Cembalo and Strings
Franz Schubert (1797–1828): Aus 5 Menuette mit 6 Trios for String Quartet D 89: No 3
Andrzej Panufnik: From Arbor Cosmica: X Molto vivace
Georg Philipp Telemann (1681–1767): Violin concerto in A, TWV 51: «Les rainettes»
Andrzej Panufnik: From Arbor Cosmica: XII Presto
Heinz Holliger: From Duöli: Vogelkonzert
In der dritten Ausgabe der Konzertreihe «Music for the Planet» beleuchtet Patricia Kopatchinskaja mit zwei Programmen Fragen nach Herkunft, Zukunft und des sich rasant beschleunigenden Klimawandels.
Das erste Programm (3. August 2025) wird neben der Cellosonate geprägt sein durch Schostakowitschs episches 2. Klaviertrio, das 1944 kurz vor Kriegsende entstand und ein wortloser Ausdruck von subjektivem Lyrismus, von Trauer und Klage ist. Insbesondere die Verwendung von Themen aus der jüdischen Volksmusik im Finale der Komposition bringen dabei das Gefühl von Schmerz zum Ausdruck. Diesen Werken werden Texte des Schweizer Autors und Kabarettisten Franz Hohler gegenübergestellt, unter anderem das Gedicht «Wann wird das sein» von 1973, das Hohler unter dem unmittelbaren Eindruck des ersten Berichts des «Club of Rome» zu «Die Grenzen des Wachstums» verfasste und das sich heute als spektakulärer, visionärer Blick auf die Problematik der Entwicklung des Weltklimas entpuppt. Mit den Kurztexten «Die Göttin» und «Schöpfung» wird aber auch Zuversicht suggeriert. Musik und Texte verbindet ein Gefühl der Ohnmacht, das durch die starke musikalische Wirkung einem Gefühl von Kraft, sogar vorsichtigem Optimismus durch die Chancen des Neubeginns weichen kann.
Patricia Kopatchinskaja, die selbst früh ihre Heimat verliess, um sich in der Fremde entfalten zu können, sagt über ihr zweites Programm der «Music for the Planet»-Konzertreihe (8. August 2025): «Die Wurzel unseres Programmes liegt unterirdisch und im Himmel. Aber am meisten in unseren Herzen». Es geht um Wurzeln schlagen im Exil und um Bäume des Lebens. Um Bäume, die für das menschliche Leben ein Wegweiser, aber durch den Klimawandel bedroht sind: «… Wir gingen fort, um neue Wurzeln zu schlagen, uns anderswo zu befreunden, aber die Bäume unserer Kindheit, sie warten dort …».
Prägend für dieses Programm: Die Werke des polnischen Komponisten Andrej Panufnik, einem engen Freund von Yehudi Menuhin. Auch seine Lebensgeschichte ist bestimmt durch die ständige Auseinandersetzung mit der Flucht. Nachdem Panufnik 1954 aufgrund der politischen Situation seine Heimat verliess, suchte er in Grossbritannien Asyl. Er liebte die Bäume seit seiner Kindheit, erfreute sich an ihren verschiedensten Farben und Formen, an ihren im Wind tanzenden Zweigen, den Seufzern der Blätter. Er stellte sich vor, dass die Wurzeln nach oben in den Kosmos und ihre Zweige in die Erde hineinwachsen. Seiner Musik in «Arbor Cosmica» werden faszinierende Bilder des Fotografen Marco Borggreve unterlegt. Sie bringen die Schönheit und den Stolz, aber auch die Endlichkeit, Verwundbarkeit und Zerbrechlichkeit von Bäumen zum Ausdruck – und damit die des uns umgebenden Lebensraums.