Das Schauspiel Frankfurt hat in einer Pressekonferenz am 7. November sein Projekt »Gallus-Geschichten« präsentiert.
Arbeit und Heimat stehen in der jüngeren Geschichte Deutschlands in einem engen und schwierigen Verhältnis zueinander. Wie blicken Nachkommen ehemaliger NS-Zwangsarbeiter:innen auf Möglichkeiten der Beheimatung in Deutschland, wie ehemalige Gastarbeiter:innen, wie ihre Kinder und Enkelgeneration und wie Menschen auf der Suche nach Schutz und Arbeit? Wie setzen sich Ausschlüsse und Abwertungen fort? All diese Themen verbinden sich auch in einem großen künstlerischen Projekt des Jungen Schauspiels mit dem Titel »Gallus-Geschichten«.
In performativen Formaten, die mit professionellen Künstler:innen entwickelt werden, lassen sich die emotionalen Dimensionen der Geschichten erfassen und eigene »Zeitzeugenschaften« erleben.
In einem Crossover von Generationen, Communities, Geschichtsinitiativen, Vereinen und Begegnungszentren im Frankfurter Stadtteil Gallus und den Kooperationspartnern entsteht ein intergeneratives Performanceprojekt im Stadtlabor des Historischen Museums, künstlerische Module mit Installationen, Stadtraum-Interventionen, Audio- und Videoelementen im Gallus sowie ein Theaterprojekt von Jugendlichen für alle in den Kammerspielen des Schauspiel Frankfurt.
Das Projekt »Gallus-Geschichten« wird von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) gefördert.
„Es ist ein Markenzeichen des Jungen Schauspiels Frankfurt, sich gemeinsam mit diversen Ensembles dem strukturellen und emotionalen Erbe von NS-Unrecht zu stellen und mit dessen Auswirkungen in der deutschen Gegenwartsgesellschaft auseinandersetzen. Die jungen Schauspieler:innen werden zu Expert:innen: In ihrem Spiel, auf Social Media und in Gesprächen teilen sie Wissen und Erfahrungen und gestalten so Erinnerungskultur aktiv mit – ganz im Sinne der Bildungsagenda NS-Unrecht“, so Dr. Andrea Despot, Vorstandsvorsitzende der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ).
Gallus-Geschichten in drei Projekten:
1. »Zeit für Zeug:innen«, Premiere am 23. November 2024, Historisches Museum Frankfurt
Inhaltlicher wie methodischer Ausgangspunkt ist die partizipative Ausstellung »Zeitzeugenschaft? Ein Erinnerungslabor« und die Ausstellung »Ende der Zeitzeugenschaft?« im Historischen Museum Frankfurt. Das Junge Schauspiel wird mit einem diversen und inklusiven Jugendensemble Formen von Zeitzeugenschaften kennenlernen, eigene Positionen entwerfen und in der Ausstellung eine künstlerische Performance gestalten. Details
2. »Aus freien Stücken?«, Januar bis Juni 2025, diverse Orte im Gallus
Zweiter Ausgangspunkt ist der Frankfurter Stadtteil Gallus: Arbeiterstadtteil der 1920er-Jahre, Standort des KZ-Außenlagers Katzbach in den Adlerwerken mit tausenden von Zwangsarbeiter:innen vornehmlich aus Osteuropa und direkt im Anschluss für sogenannte »Gastarbeiter«. Im Saalbau Gallus fand 1963-1965 der Frankfurter Auschwitz-Prozess statt.
Zentrale Rolle für die inhaltliche Recherche spielt der Geschichtsort Adlerwerke im Gallus. Als Produzent von Motoren und Fahrzeugen zählten die Adlerwerke für die nationalsozialistischen Machthaber zu den kriegswichtigen Industriebetrieben. Wie bereits im Ersten Weltkrieg fuhr das Frankfurter Werk nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 die Produktion von Rüstungsgütern für die Wehrmacht hoch. Mit dem Fortgang des Krieges wurden immer mehr wehrfähige deutsche Männer eingezogen, die schließlich als Arbeiter fehlten. Ab 1941 beschäftigten die Adlerwerke daher im System der Zwangsarbeit Kriegsgefangene und ausländische Zivilarbeiter:innen. Interdisziplinär arbeiten das Schauspiel Frankfurt und der Geschichtsort Adlerwerke mit seiner Expertise zur Geschichte der Adlerwerke, Zwangsarbeit und zur sogenannten „Gastarbeiter“-Generation im Gallus in Kooperation mit lokalen Vereinen und Begegnungszentren sowie dem Historischen Museum zusammen. Das Konzept der »Zeitzeugenschaft« wird hier intergenerationell mit Nachkommen von Verfolgtengruppen des NS-Regimes und Arbeitsmigrant:innen der ersten Generation zur Gestaltung von gemeinsamen Erzählungen genutzt.
Es entstehen theatrale Interventionen im Stadtraum, Reels für Social Media und szenische Bilder in Zusammenarbeit mit professionellen Künstler:innen. Ergebnisse dieser Arbeiten werden in einer Theaterperformance im Gallus-Theater zusammengefasst und öffentlich präsentiert.
3. »B-Heimat. Orte der Sehnsucht«, Premiere am 8. März 2025, Kammerspiele
Auf Grundlage der Erfahrungen während der Recherchen im Gallus entwickeln Jugendliche mit einem künstlerischen Team einen professionellen Theaterabend für alle in den Kammerspielen des Schauspiel Frankfurt. Alle Präsentationen werden Austauschformate mit dem Publikum enthalten und von Social Media-Kampagnen und Schulprogrammen begleitet.
Team
»Aus freien Stücken? «
Leitung: Martina Droste – Künstlerische Produktionsleitung: Andreas Jahncke – Produktionsassistenz und historische Recherche: Lioba Martini
»Zeit für Zeug:innen«
Konzept und Regie: Martina Droste – Kostüme: Anna Sünkel – Komposition und Sounddesign: Max Mahlert – Chor: Christina Lutz – Regieassistenz: Annika Wenderoth
»B-Heimat. Orte unserer Sehnsucht«
Konzept und Regie: Martina Droste – Bühne und Kostüm: Michela Kratzer – Komposition und Sounddesign: Max Mahlert – Chor: Christina Lutz – Regieassistenz: Hannah Wolter
Junges Schauspiel
Begleitprogramm für Schulen: Anina Engelhardt
Kooperationspartner:
Gallus Theater, Gallus Zentrum, Geschichtsort Adlerwerke, Historisches Museum Frankfurt, Jugend-Kultur-Werkstatt Falkenheim Gallus e.V., Jugendhilfe Paul-Hindemith-Schule , Jugendmigrationsdienst (JMD) im Quartier Gallus, Leben und Arbeiten im Gallus und Griesheim (LAGG), Mehrgenerationenhaus Frankfurt Gallus uvm.
Das Gesamtprojekt »Gallus-Geschichten« wird im Rahmen der Bildungsagenda NS-Unrecht von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) gefördert.