Die Spielzeit 2025/26 am Hamburger Wolfgang Borchert Theater

Tanja Weidner (© Ritter)

Unter dem Motto «Zwischen Geistern und Flammen» blickt das Hamburger Wolfgang Borchert Theater in die neue Spielzeit – und in die tiefen Spannungsfelder zwischen Erinnerung und Aufbruch, zwischen Vergangenheit und Erneuerung. Die Gespenster der Geschichte, die uns verfolgen, und das reinigende wie zerstörerische Feuer, das Veränderung bringt – sie prägen die Themen, Stoffe und Ästhetiken des neuen Programms.

Die finanzielle Lage bleibt angespannt, doch Tanja Weidner blickt dennoch zufrieden auf ihr erstes Jahr als Intendantin und Geschäftsführerin des WBT. Die Auslastung ist mit insgesamt 82,1% traumhaft hoch und konnte sich nach anfänglichen Schwierigkeiten durch die gesellschaftliche Krisenstimmung im September und Oktober völlig konsolidieren. In den Monaten November bis April lag sie sogar bei 89,6%. Bis dato haben 22.590 Zuschauer das Theater am Hafen besucht. Bis zum Spielzeitende erwartet die Theaterleitung in etwa die Zuschauerzahlen vom Vorjahr, vielleicht sogar etwas mehr.

Zu diesem Publikums-Erfolg tragen vor allem die neuen Stücke Kalter weißer Mann, Der Teufel und die Diva, All das Schöne und in besonderem Maße Achtsam Morden bei, bei denen die Nachfrage ungebrochen hoch ist. Aber auch die experimentelleren Inszenierungen MetaFAUST, Herzfaden und Manhattan Project stoßen auf sehr positive Resonanz. Weidner freut sich besonders über den Erfolg des neuen Klassenzimmerstücks Malala – ein starkes Mädchen, das bereits über 20 Mal in Schulen in Münster und des Umlandes gezeigt wurde.

«Junge Menschen sehen in ihrem Alltagsraum, dass das Theater auch ihre Bedürfnisse, Fragen und Sorgen anspricht – und kommen mit uns ins Gespräch.» Gerade nach der Absage des Klassikers und Abiturthemas Der zerbrochne Krug, das ursprünglich im April dieses Jahres zur Premiere kommen sollte, zeigt sich Weidner froh über den intensiven Kontakt zu den Schulen. Grund für die Absage waren wirtschaftliche Sorgen des Privattheaters, die trotz des Erfolgs und der hohen Auslastungszahlen nach wie vor Thema sind.

«Wir bewegen uns finanziell auf dünnem Eis. Durch die allgemeinen Teuerungen der letzten drei Jahre ist bei annähernd gleichbleibender Förderung das strukturelle Defizit über Jahre hinweg kulminiert», so Weidner. «Ohne die verlässliche Förderung durch die öffentliche Hand können wir den künstlerischen Anspruch und die gesellschaftliche Relevanz unseres Programms nicht aufrechterhalten. Die Lage für Privattheater bleibt kritisch – wir brauchen nachhaltige politische Unterstützung.»

Doch Weidner blickt optimistisch in die Zukunft. Das WBT steht für gelebten Teamgeist – auf, vor und hinter der Bühne. Die neue Spielzeit setzt konsequent auf ein starkes Ensemble, mutige Regiehandschriften und thematisch fokussierte Reihen, die den Diskurs mit dem Publikum suchen. «Wir wollen Theater machen, das berührt, aufrüttelt und unterhält – mit Haltung und Leidenschaft. Und alle sind eingeladen, Zuschauer, Förderer, Theaterneulinge und alte Theaterhasen, diesen Weg mit uns gemeinsam zu gehen und mit uns ins Gespräch zu kommen.»

So wird das Politische Café, das zuletzt wegen hoher Nachfrage aus dem Foyer in den Theatersaal verlegt werden musste, als regelmäßiges Format eingeführt – unter der Ägide des Politikwissenschaftlers Prof. Norbert Kersting von der Uni Münster. Auch das Philosophische Café, moderiert von Ethikprofessor der Katholischen Hochschule, Prof. Sebastian Laukötter kehrt zurück. Beide Reihen schaffen Raum für offene, fundierte Gespräche über die großen Fragen unserer Zeit – ganz im Sinne eines Theaters, das über sich hinaus wirkt.

Die Saison 2025/26 verspricht eine programmatische Dramaturgie, die das Spielzeitmotto «Zwischen Geistern und Flammen» inhaltlich durchzieht: Den Auftakt am 13. September bildet Jenny Erpenbecks Heimsuchung, ein poetisches Kaleidoskop deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert: Ein Haus am See in der Nähe von Berlin wird zum stummen Zeugen von Aufbruch, Krieg, Vertreibung und Wiedervereinigung – und von all den Menschen, die darin geboren werden, leben, lieben und vergehen. In einer Bühnenfassung von Intendantin Tanja Weidner entsteht ein vielstimmiges Porträt der «conditio humana», atmosphärisch verdichtet durch Videoarbeiten des preisgekrönten Dortmunder Künstlers Tobias Bieseke. Der Roman ist Stoff fürs Zentralabitur in NRW.

Mitten hinein in das politische Minenfeld der Gegenwart führt die schwarze Komödie Putsch. Anleitung zur Zerstörung einer Demokratie von Alistair Beaton und Dietmar Jacobs. Mit Tempo, Biss und beunruhigendem Realitätsbezug wird klar: Demokratie ist kein Selbstläufer – sie muss täglich verteidigt werden. Die Zweitaufführung des Auftragswerkes für das Theater Trier inszeniert Meinhard Zanger, an seiner Seite der renommierte Bühnen- und Kostümbildner Tom Grasshof aus Köln.

Manipulation und der Sog der totalitären Verführung entfaltet sich auch in der Novelle Mario und der Zauberer, inszeniert von der Neapolitanerin Luisa Guarro. Eine beklemmende Allegorie, die eindrucksvoll vor den Gefahren charismatischer Macht warnt – zum 150. Geburtstag von Nobelpreisträger Thomas Mann aktueller denn je.

Mit Michael Kohlhaas inszeniert Tanja Weidner einen Klassiker als Solo-Drama mit dem Schauspieler Gregor Eckert: Ein aufrechter Pferdehändler gerät durch Behördenwillkür in einen Strudel aus Rache, Gewalt und moralischer Radikalisierung. Heinrich von Kleists Erzählung wird so zum mitreißenden Politthriller über Recht und Unrecht – und über den schmalen Grat zwischen Gerechtigkeit und Fanatismus.

Französischen Esprit und antikapitalistische Spitzen bringt Nein zum Geld! von Flavia Coste auf die WBT-Bühne: Ein Mann gewinnt 162 Millionen Euro – und lehnt das Geld ab! Seine Familie ist entsetzt, die Diskussion eskaliert. Die Intendantin des Mindener Stadttheaters Andrea Krauledat inszeniert, nach dem Erfolg von Kalter weißer Mann, erneut eine scharfsinnige Komödie fürs WBT über Werte, Besitz und die Frage: Macht Geld wirklich glücklich – oder nur abhängig?

Der Kölner Regisseur und Videokünstler Björn Gabriel inszeniert mit seinem Team Jan van Putten und Anna Marienfeld den Klassiker Gespenster von Henrik Ibsen. Ein Sohn kehrt in sein Familienhaus zurück – und mit ihm die verdrängte Vergangenheit. Was als feierlicher Neuanfang geplant war, wird zur Offenbarung familiärer Schuld, gesellschaftlicher Doppelmoral und stiller Katastrophen.

Die siebte und letzte Premiere der Spielzeit holt die scharfzüngige Autorin Sybille Berg auf die WBT-Bühne. Nur Nachts ist ein melancholisch-komisches Drama über Liebe, Verlust und das Scheitern an den eigenen Ansprüchen. Zwei Menschen über vierzig versuchen es noch einmal miteinander – begleitet von inneren Geistern, Selbstzweifeln und der Frage: Ist das schon alles? In gewohnt bissigem Tonfall legt Berg die brüchige Oberfläche des modernen Selbstoptimierungswahns frei – schmerzhaft ehrlich und überraschend zärtlich.

Die übergroße Nachfrage nach Premierenabos führt zu einer Neuerung: Künftig sollen wieder zwei Premierenabende gefeiert werden, donnerstags und freitags. Diese Tradition gab es bereits im «alten» WBT auf der anderen Hafenseite. Abgesehen von der Möglichkeit ein Abo zu erwerben, gibt es einen weiteren, wesentlichen Vorteil für die Zuschauer. «Wer am Freitag statt am Donnerstag mit uns feiert, kann am Samstag den Theaterrausch ausschlafen… », so Weidner.

Mit Vorfreude blicken die Intendantin und ihr Team auch auf einige personelle Veränderungen. Zurück auf die Bühne kehrt die Schauspielerin Rosana Cleve, die auch als Regieassistentin ihren künstlerischen Weg zur Regie antritt. Die Kölner Schauspieler Bernd Reheuser und Markus Hennes, die Münsteranerin Carolin Wirth und, frisch von der Schauspielschule, Lara Berenike Dabbous, bereichern das Gast-Ensemble. Mit der Bochumerin Anne Rockenfeller als Assistentin der Intendanz und Geschäftsführung sowie Dramaturg Moritz Schertl setzt Weidner auf die gezielte Weiterentwicklung der Zuschauer-Kommunikation und des Social Marketing.

wolfgang-borchert-theater.de