Die Spielzeit 2023/24 am Schauspielhaus Zürich

In der letzten Spielzeit der Co-Intendanten Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann am Schauspielhaus Zürich gibt es Grosses zu sehen: Kim de l’Horizons Blutbuch und Virginie Despentes Liebes Arschloch werden uraufgeführt, genauso wie die Oper Carmen in der Interpretation von Wu Tsang. Nicolas Stemann selbst bringt gleich zwei Jubiläums-Klassiker zur Aufführung, während die Darsteller*innen in grossen Ensemblestücken noch einmal in Erscheinung treten. Auch alle acht Hausregisseur*innen, mit denen die Intendanz von Stemann und von Blomberg begonnen hat, kommen in dieser letzten Spielzeit noch einmal zusammen.

Zum letzten Mal, zum ersten Mal, endlich mal: An der heutigen Medienorientierung zur Spielzeit 2023/24, die ihre letzte sein wird, vermischen sich bei den beiden Intendanten Wehmut, Stolz und Vorfreude. „Wir haben in den letzten vier Jahren am Schauspielhaus selbst anspruchsvolle Prozesse angestossen und in Zürich Menschen erreicht, die nie einen Fuss in ein Stadttheater gesetzt haben. Wir wünschen uns, dass Wandel und Öffnung auch nach unserem Abschied wichtig bleiben.“ Gleichzeitig solle ihre letzte Spielzeit in Zürich etwas Besonderes werden: „Die Stoffe sind sinnlich und machen Spass, sie gehen unter die Haut, reflektieren die Vergangenheit, bilden die Gegenwart ab und wagen Blicke in die Zukunft.“ Mit dem erneuten Zusammenkommen aller Hausregisseur*innen, die gemeinsam mit den Intendanten in der Spielzeit 2019/20 angetreten sind, schliesst sich ein Kreis. Alle acht – Leonie Böhm, Suna Gürler, Trajal Harrell, Christopher Rüping, Wu Tsang, Yana Ross, Alexander Giesche und Nicolas Stemann – kommen im „Dernierenjahr“ mit einer Neuinszenierung ans Schauspielhaus.

Premieren 2023/24

Ein Schüler, der sich in das Haus und Leben einer reichen Familie reinschreibt und dort erst dem Sohn, später dem Vater, die Rolle streitig macht. Ein Lehrer, der, fasziniert von der Lektüre, zum Komplizen und schliesslich zum Opfer seines Schülers wird. In Der Junge aus der letzten Reihe beleuchtet die Regisseurin Christiane Jatahy mit dem Stoff des spanischen Dramatikers Juan Mayorga die Grenzen von Pädagogik und Klassenzugehörigkeit, von Realität und Fiktion. Premiere ist am 8. September 2023 in der Schiffbau-Box.

Auf den Tag genau 80 Jahre nach der Uraufführung in Zürich bringt Nicolas Stemann am 9. September 2023 Bertolt Brechts Leben des Galilei zurück auf die Pfauenbühne. Klimakrise, Krieg, Pandemie: Auch Jahrzehnte später ist der Diskurs zwischen Wissenschaft und Macht, zwischen Erneuerungsverfechter*innen und traditionellen Kräften vergiftet. Was da Galilei wohl machen würde?

In Suna Gürlers Uraufführung jetzt, jetzt, jetzt (Arbeitstitel) verhandeln 40 junge Menschen auf der Bühne kollektiv die Zukunft. Chaos? Schöpfung? Anbeginn der Welt? Vielleicht von allem etwas. Mitreissend wird es allemal. Uraufführung ist am 28. September 2023 im Pfauen.

Leonie Böhm und Autor*in Kim de l’Horizon sind sich letztes Jahr in Zürich begegnet. Und schnell war klar: Das ist nur der Anfang einer Geschichte. Böhm wendet sich nach ihren radikalen Klassikerbearbeitungen mit Blutstück zum ersten Mal einem zeitgenössischen Text zu. Kim de l’Horizon wiederum gibt Blutbuch, das wohl meistbesprochene deutschsprachige Debüt des letzten Jahres und ausgezeichnet mit dem Schweizer und dem Deutschen Buchpreis 2022, in einen Prozess mit offenem Ausgang. Und steht dabei selbst auf der Bühne. Uraufführung von Blutstück ist am 20. Oktober 2023 im Pfauen.

Eine Gabel, direkt in den Bauch gestochen, die ganze Klasse hats gesehen! Doch Gwen schweigt zur Attacke auf ihren besten Freund. Stattdessen entschuldigt sich –Yves! Wer ist hier eigentlich das Opfer? Amore United von Lucien Haug ist ein Stück über (vermeintliche) Polarisierung, über Konflikt, Liebe und (Un-)Versöhnlichkeit. Ein Klassenzimmerstück, das vom jungen theater basel im Oktober 2023 nach Zürich in die Pfauen-Kammer kommt.

Nicolas Stemanns «emanzipiertes Schneewittchen mit Kultpotential» (NZZ) kehrt nach vier Jahren am 4. November 2023 endlich wieder zurück in den Pfauen – und ist in der Zwischenzeit kein bisschen braver geworden. Während ihr Vater, wie immer, abwesend ist, bringt Schneewittchen den Zwergen bei, ihren Männerhaushalt selbst zu schmeissen und verhindert parallel die Abholzung des Märchenwalds. Und wenn sie nicht gestorben sind, treten ausserdem auf: ein lieber Wolf, ein schüchterner Jäger und ein freches Rotkäppchen.

In Liebes Arschloch surft Oscar, Schriftsteller, Alter irgendwo um die 50, die Erfolgswelle – bis es zum Absturz kommt. Völlig unverschuldet, so seine Wahrnehmung, gerät er durch die Beziehung mit der feministischen Bloggerin Zoé in einen #MeToo-Skandal. In den Trümmern seines Lebens sucht Oscar Trost bei Filmdiva Rebecca, die zunächst seine Empörung teilt, dann aber zunehmend Empathie für Zoés Perspektive entwickelt. Es entspinnt sich ein Duell über alten und neuen Feminismus, Macht, Rausch und Prüderie. Regisseurin Yana Ross lädt am 25. November 2023 zur Uraufführung von Virginie Despentes’ Bestseller in den Pfauen.

In The Ozard of Wiz kehren sieben Menschen durch einen magischen Sturm in ihre Kindheit zurück, in eine Zeit ohne Scham. Sie hoffen, endlich all das zu bekommen, wonach sie ihr ganzes Leben lang gesucht haben: Gehirne, Mut, ein Herz und ein Zuhause. Das von René Geerlings inszenierte Familienstück, das auf Einladung des Blickfelder Festivals ans Schauspielhaus kommt, steckt voller Vogue, Popmusik und Melancholie. Die Zürich-Premiere findet am 6. Dezember 2023 in der Schiffbau-Box statt.

Familienzusammenkunft im Haus am See. Flirrende Hitze, lähmende Langeweile. Sohn Kostja versucht sich als Theaterautor, doch sein progressives Stück, das er vor seiner Verwandtschaft aufführt, floppt. Sehr zur Belustigung seiner Mutter Arkadina, einer berühmten Schauspielerin, die sich ihrerseits fragt, wie ihre Zukunft in diesem progressiven Theater wohl aussehen mag… Mit Die Möwe inszeniert Christopher Rüping zum ersten Mal Tschechow. Premiere ist am 20. Dezember 2023 im Pfauen.

Menschen, Geister und ein machthungriger Zauberer im Exil, gestrandet auf einer einsamen Insel. Wu Tsang und Moved by the Motion verweben Shakespeares Sturm mit Sci-Fi, Satire und dem magischen Akt des Theaters selbst. Am 20. Januar 2024 entführen sie uns aus dem Pfauen in eine nahe Zukunft, in der der Meeresspiegel einen apokalyptischen Pegel erreicht hat und die wenigen verbliebenen Menschen sich fragen müssen, was sie eigentlich zu Menschen macht.

Weil sie als unverheiratete Frau ein Kind geboren hat und den Namen des Vaters verschweigt, wird Hester Prynne verstossen. Im kolonisierten Nord-Amerika des 17. Jahrhunderts wird sie gezwungen, zur Strafe jederzeit ein scharlachrotes «A» auf ihrer Brust zu tragen. Tänzer und Choreograf Trajal Harrell blickt in Tambourines imaginierend auf die Vergangenheit zurück: Was wäre gewesen, hätten Hester und anderen Frauen in solchen Situationen Verbündete gehabt? Premiere ist am 10. Februar 2024 im Pfauen.

Eurodance klingt nach Feiern, Sex und heiler Welt – und für einige männliche, weisse Musikproduzenten auch nach ganz viel Kohle. In der Realität der Schwarzen Frauen, die die charakteristischen Soulpassagen einsingen, ohne je einen Rappen an Tantiemen zu sehen, ist von Partystimmung aber nicht viel übrig. In Last Night a DJ Took My Life beleuchtet Regisseurin Joana Tischkau die Strukturen erfolgreicher Hitmaschinen der 1990er-Jahre vor dem Hintergrund von race, Gender und kultureller Aneignung. Ab dem 12. März 2024 in der Schiffbau-Box.

Nicolas Stemanns verabschiedet sich aus seiner Co-Intendanz mit Max Frischs Biedermann und die Brandstifter. Ausgerechnet, möchte man sagen. Das Stück über die Heuchelei reicher Biedermänner, die für ihren Status über Leichen gehen, bis die armen Hausierer in der Wut schliesslich die Stadt anzünden, wurde vor 65 Jahren am Pfauen uraufgeführt. Am selben Ort wird auch heuer wieder (nicht lang) gefackelt: Premiere ist am 21. März 2024.

Verkohlte Baumstrünke statt Regenwald, Rauchschwaden, die bis ins Weltall zu sehen sind, zerstörte Lebensgrundlagen: Der Brand des Amazonas, angetrieben durch die gierige Politik des damaligen Präsidenten Jair Bolsonaro, entsetzte die Weltöffentlichkeit. Zum Abschluss ihrer Antiken-Trilogie sind Milo Rau und sein Team nach Brasilien gereist und haben auf einem besetzten Landstück zusammen mit indigenen Aktivist*innen und Schauspielenden Antigone im Amazonas wieder auferstehen lassen. Zum blutigen Showdown zwischen traditioneller Weisheit und globalem Turbokapitalismus kommt es im Frühjahr 2024 im Pfauen.

Ein dreissigjähriger Schriftsteller leidet zwar an einer entzündeten Libido, nicht aber an Schreibstau. Im Rausch einer Nacht füllt er sein Tagebuch mit homoerotischen Wünschen und sucht die Gesellschaft von Queens und Queers, um gemeinsam den Abschied von der Welt der Vernunft zu feiern. Regisseur Alexander Giesche adaptiert Moise und die Welt der Vernunft zum ersten Mal für eine grosse Bühne und nutzt die Vorlage für seinen ganz persönlichen Abschied aus der Welt der Vernunft. Bei ihm erfolgt der Ausbruch mit Poesie, Zärtlichkeit, und ja: Party! Erstmals gefeiert wird im Frühjahr 2024 im Pfauen.

Carmen ist Liebhaberin, Rebellin, Arbeiterin, Stricherin und Figur einer der meistaufgeführten Opern weltweit. Wu Tsang und Moved by the Motion nehmen das gehaltvolle Erbe an und entwickeln die Tragödie weiter zu einem hybriden Opern-Theaterstück mit Orchester, das sich nicht um Genres schert, dafür aber um die Liebe, den Verlust und die Befreiung. Carmens Premiere ist am 4. Mai 2024 in der Schiffbau-Halle.

25’000 Verse! Ob Regisseurin Leonie Böhm sich für ihr spielzeitübergreifendes Projekt mit dem Zürcher Ensemble wirklich durch die gesamten sechzehn, in altem Deutsch verfassten Bände des mittelalterlichen Heldenepos Parzival geackert oder sich eine Zusammenfassung von ChatGPT gezogen hat, ist nicht bekannt. Sicher ist: Die Inhalte sind schmerzhaft aktuell. Sie handeln von Ignoranz, Schuld, Sexualität und Erlösung. So viel sei gespoilert: Erst nachdem er sich von seiner Selbstbezogenheit lösen und Empathie zeigen kann, darf Parzival König werden.

Theatervermittlung für junge Menschen

Auch in der kommenden Spielzeit treffen sich im Schauspielhaus wöchentlich rund 40 Menschen zwischen 14 und 24 Jahren in vier verschiedenen Jugendclubs, um die Welt des Theaters kennenzulernen und um im Frühling 2024 ihre Stücke Premiere feiern zu lassen. Auch das Theaterjahr, bei dem fünf junge Interessierte Arbeitserfahrung in allen Bereichen des Theaters sammeln sowie ein eigenes Projekt entwickeln können, wird fortgeführt. Dazu kommt unser theaterpädagogisches Angebot Theater & Schule, das Kindern und Jugendlichen früh den Zugang zu prägenden Theatererlebnissen ermöglichen will.


Der Vorverkauf für die Spielzeit 2023/24 startet am 19. Juni 2023.

Das Heft zur Saison-Vorschau 2023/24 kann unter folgendem Link bestellt oder heruntergeladen werden: schauspielhaus.ch.


Dank

Das Schauspielhaus Zürich dankt seiner Subventionsgeberin, der Stadt Zürich sowie dem Kanton Zürich und den Mitgliederkantonen der Interkantonalen Kulturlastenvereinbarung (ILV), Luzern, Uri, Zug und Aargau herzlich für ihre Unterstützung. Auch den Kantonen Nidwalden, Obwalden und Schwyz. Besten Dank auch den Kantonen Nidwalden, Obwalden und Schwyz sowie dem Gemeinnützigen Fonds des Kantons Zürich. Ohne die finanzielle Unterstützung der Partner*innen Zürcher Kantonalbank und Migros-Kulturprozent liesse sich das ambitionierte Programm nicht durchführen. Ein besonderes Dankeschön gilt den engagierten Stiftungen, Sponsor*innen und privaten Gönner*innen. Sie ermöglichen u.a. spartenübergreifende Produktionen, Übertitel sowie Programme und Projekte für und mit junge(n) Menschen.

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