
Heute Abend wurden im Staatstheater Kassel zum 14. Mal die Preisträgerinnen und Preisträger des Deutschen Theaterpreises DER FAUST ausgezeichnet. Durch den Abend führte die Schauspielerin und Musikerin Wiebke Puls in Anwesenheit der hessischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn, und des Kasseler Oberbürgermeisters Christian Geselle.
Die Preisträger des Deutschen Theaterpreises DER FAUST 2019 sind:
Regie Schauspiel: Helge Schmidt für „Cum-Ex-Papers“, Lichthof Theater Hamburg
Darstellerin/Darsteller Schauspiel: Maja Beckmann für „Dionysos Stadt“, Münchner Kammerspiele
Regie Musiktheater: Elisabeth Stöppler für „Götterdämmerung“, Theater Chemnitz
Sängerdarstellerin/Sängerdarsteller Musiktheater: Johannes Martin Kränzle als Šiškov für „Aus einem Totenhaus“, Oper Frankfurt
Choreografie: Anne Teresa de Keersmaeker für „Die sechs Brandenburgischen Konzerte“, Volksbühne Berlin (Koproduktion: B’Rock Orchestra, Volksbühne (Berlin), La Monnaie / De Munt (Brüssel), Opéra de Lille, Opéra National de Paris, Sadler’s Wells (London), Les Théâtres de la Ville de Luxembourg, Concertgebouw (Brügge), Hollandfestival (Amsterdam), Festival de Marseille)
Darstellerin/Darsteller Tanz: Marlúcia do Amaral als Odette für „Schwanensee“, Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg
Regie Kinder- und Jugendtheater: Birgit Freitag für „Für Vier“, Junges Theater Bremen
Bühne/Kostüm: Étienne Pluss, Bühne, für „Violetter Schnee“, Staatsoper Unter den Linden Berlin

© Oliver Kern Fotografie
Mit dem Perspektivpreis der Länder wurde in diesem Jahr die Initiative „explore dance – Netzwerk Tanz für junges Publikum“ ausgezeichnet.
Über den Perspektivpreis der Länder hat eine eigens dafür eingesetzte Jury entschieden. Ihr gehören der Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, Prof. Dr. Markus Hilgert, und Bühnenvereins-Präsident Prof. Ulrich Khuon an. Weitere Jury-Mitglieder sind als Vertreter des ausrichtenden Bundeslandes Jan-Sebastian Kittel (Referatsleiter Theater und Musik), für den Kulturausschuss der Kulturministerkonferenz (KMK) Hans Heinrich Bethge (Senatsdirektor Behörde für Kultur und Medien, Freie und Hansestadt Hamburg) und als Vertreterin des Künstlerischen Ausschusses des Deutschen Bühnenvereins Nicola May (Intendantin des Theaters Baden-Baden).

© Oliver Kern Fotografie
Mit dem Preis für das Lebenswerk geehrt wurde Roberto Ciulli. Die Laudatio auf den Ehrenpreisträger hielt der Vizepräsident des Landtages NRW, Oliver Keymis.
„Es ist eine sehr mutige und großzügige Entscheidung des Bühnenvereins“, bedankt sich Ciulli und richtet gleichzeitig einen Appell an die Theatergemeinschaft: „Das Theater muss für die Abschaffung von Peripherien – geografischen und menschlichen – arbeiten und das Gefälle zwischen Zentrum und Provinz ausgleichen.“
Auch die Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn, blickt zurück auf einen spannenden, emotionalen Abend: „Faust und Herkules – das passt aus meiner Sicht einfach wunderbar zusammen“, so die Ministerin. „Wir sind sehr stolz, dass der Deutsche Theaterpreis DER FAUST nun schon zum zweiten Mal in Hessen Station gemacht und sich die Theaterwelt im Staatstheater in Kassel getroffen hat, um die besten Künstlerinnen und Künstler der vergangenen Spielzeit zu feiern. Dabei geht es immer um Grundlegendes: Das Theater stellt sich selbst permanent auf die Probe, experimentiert mit immer anderen Arten künstlerischen Ausdrucks und forscht nach neuen Möglichkeiten der Zusammenarbeit in einem künstlerischen Betrieb. Und es hat die Kraft, die Parameter unseres Zusammenlebens auf kreative Art zu befragen und zu verhandeln, in jeder Vorstellung aufs Neue. Das Theater steht dabei wie keine andere Institution für Offenheit, Vielfalt und Toleranz. Aufgabe der Politik ist es, diese Prozesse zu ermöglichen, Freiräume dafür zu schaffen und die Handelnden darin zu bestärken. Dass DER FAUST also die wichtigsten Akteurinnen und Akteure des Theaterlebens nach Kassel geholt hat, ist auch ein starkes Bekenntnis zur Kraft des Theaters.“
Eine Zusammenfassung der Ausstrahlung ist in 3sat am 10. November um 18.15 Uhr zu sehen.
Der Deutsche Theaterpreis DER FAUST 2019 wird veranstaltet und gefördert durch das Hessische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, die Stadt Kassel, die Kulturstiftung der Länder, die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste und den Deutschen Bühnenverein. Weitere Kooperationspartner sind 2019 die Kasseler Sparkasse und der Deutsche Bühnenverein Landesverband Mitte.
Veranstaltungspartner 2019 ist das Staatstheater Kassel, Medienpartner sind 3sat und Die Deutsche Bühne.
buehnenverein.de
Deutscher Theaterpreis DER FAUST 2019 Jurybegründungen:
Regie Schauspiel
Helge Schmidt, das Ensemble und das Recherchezentrum Correctiv leisten mit Cum-Ex-Papers politische Aufklärungsarbeit im besten Sinn. Das auf einer hervorragenden Rechercheleistung basierende Stück über eine von Gier getriebene völlig moralfreie Parallelgesellschaft wird von Helge Schmidt packend, entlarvend, humorvoll und künstlerisch stimmig auf die Bühne gebracht. An einer kleinen Bühne, dem Lichthoftheater Hamburg, wird mit dieser Aufführung so maßstabsetzende interdisziplinäre Arbeit geleistet.
Darsteller*in Schauspiel
Das Ensemble hat sich mit „Dionysos Stadt“ auf eine außerordentliche Theaterreise begeben. Der vielstündige Theatermarathon zeichnet sich durch eine ungewöhnlich intensive Ensemblearbeit aus. In diesem Zusammenspiel überzeugt Maja Beckmann mit einer überwältigenden Darstellung und einer großen Verwandlungsfähigkeit. Wir zeichnen die berührende Maja Beckmann aus, der gemeinsam mit den Spieler*innen dieser intensiven, klugen und großartigen Produktion ein einzigartiger Theaterrausch gelingt.
Choreografie
Soviel Gelassenheit kann nur eine Großmeisterin wie Anna Teresa de Keersmaeker choreografieren: Die international und mit viel Mitteln produzierten „Sechs Brandenburgischen Konzerte“ leben von ihrer Fülle an Tänzern, die nicht im Einzelnen ihre Virtuosität demonstrieren, sondern sich dem Eins-Sein hingeben trotzdem sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Der Einfallsreichtum zu immer wieder unterschiedlichen Konstellationen und eine durchgängig bewegte Musikinterpretation (mit live Orchester) entwickeln eine Sog-Wirkung, der man sich nicht entziehen kann.
Darsteller*in Tanz
Mit Marlúcia do Amaral wird eine Tänzerin ausgezeichnet, deren außergewöhnliche Physis, Intensität und Kraft man seit vielen Jahren vor allem in Martin Schläpfers Choreografien bewundern kann. Jetzt hat sie sich die eher lyrische „Odette“ in Schwanensee erobert und virtuos interpretiert – eine Ausnahmeerscheinung, die den klassischen Rahmen herausfordert und dabei gewinnt.
Regie Kinder- und Jugendtheater
Birgit Freitag zeigt mit „FÜR VIER“, wie Tanz im Jugendtheater für vier Menschen zum individuellen Ausdrucksmittel und zur gemeinsamen Sprache werden kann. Das Tanzstück besticht durch die Authentizität und Lässigkeit, mit der zwei Jugendliche und zwei Erwachsene, zwei Männer und zwei Frauen die Frage nach der eigenen Identität verhandeln und ihr jugendliches Publikum dabei vom ersten Moment an auf ihrer Seite wissen.
Bühne Kostüm
Der Bühnenbildner Étienne Plus lässt Vladimir Sorokins unheimliche Landschaften entstehen und lockt den Zuschauer in die perfekte Illusion, wie es sonst nur der Film vermag. Im Erlebnisraum „Violetter Schnee“ offenbaren sich in meisterhaftem Zusammenspiel mit Light-Design (Olaf Freese) und Video (Arian Andiel) die besten Möglichkeiten großer Ausstattungen auf großen Bühnen.
Regie Musiktheater
Elisabeth Stöppler versteht es, Wagners lange musikalische Wege mitzugehen, lässt gleichzeitig Uneindeutigkeiten und Umdeutungen zu und schafft es, Brutalität ohne Repräsentation jener darzustellen – gerade der Aspekt der „weiblichen Souveränität“ wird hiervon sehr berührt. Mit Klimawandel und sozialer Vereinsamung wird das thematische Triptychon dieser besonderen Inszenierung vervollständigt und bekommt dadurch eine ungeahnte Relevanz und Schärfe.
Sängerdarsteller
Johannes Martin Kränzle ist einer der ganz großen Sängerdarsteller, seine außerordentliche Kunst wird weltweit geschätzt. In der Frankfurter Produktion von Janaceks „Aus einem Totenhaus” zeigt er als gefesselter Frauenmörder Šiškov die ganze Intensität seiner stimmlichen und darstellerischen Gestaltung.
Begründung Perspektivpreis 2019 ~ explore dance – Netzwerk Tanz für junges Publikum
Ausgehend
vom Körper und seinen Bewegungen kann der zeitgenössische Tanz
gesellschaftliche Zusammenhänge und Fragestellungen ganz unmittelbar
sichtbar und individuell erlebbar machen. Mit „explore dance –
Netzwerk Tanz für junges Publikum“ wurde im Förderprogramm
Tanzpakt Stadt-Land-Bund ein auf drei Jahre angelegtes Projekt
geschaffen, das dazu einlädt für und mit Kindern und Jugendlichen
die Kunstform Tanz in all ihrer Vielfalt zu entdecken. Mit neuen
künstlerischen Vermittlungsformen wird zeitgenössischer Tanz in
hoher Qualität hautnah erlebt, indem Probenprozesse geöffnet und
innovative Formen und Modelle in Bühnenproduktionen, mobilen Stücken
in Klassenzimmern oder im öffentlichen Raum von etablierten
Choreografen und Choreografinnen entwickelt und erprobt werden. Damit
leistet das Projekt auch einen wichtigen zweifachen Beitrag zur
kulturellen Bildung, indem es jungen Menschen einerseits den Zugang
zu zeitgenössischem Tanz als künstlerischer Ausdrucksform bahnt und
sie andererseits dazu ermächtigt, zu selbstbewussten Zuschauer*innen
des Tanzes zu werden.
Einzigartig und modellhaft ist auch die
trilateral bundesländerübergreifende Kooperation in diesem Projekt,
die Geld und Kompetenzen bündelt und die Wirksamkeit des Projekts
erhöht: „explore dance“ ist ein wunderbares Beispiel dafür,
dass der Kulturföderalismus keine Barriere ist, sondern eine
großartige Chance, wenn sie nur planvoll, mutig und engagiert
ergriffen wird. Potsdam, München und Hamburg haben sich
zusammengeschlossen, um gemeinsam mit fabrik moves Potsdam, Fokus
Tanz München und K3 | Tanzplan Hamburg den zeitgenössischen Tanz
für Kinder und Jugendliche zu öffnen und als künstlerische
Erfahrung erlebbar zu machen. Die Grenzen zwischen künstlerischen
Prozessen und Kultureller Bildung werden fließend, verschwinden
sogar ganz: Alles ist organischer Teil der Idee, des unmittelbaren
Erlebens und damit des gesamten Projektes. Durch diese besondere
künstlerische – wie organisatorisch herausfordernde Kooperation wird
eine strukturelle Entwicklung von Tanz ermöglicht, die Herzen, Köpfe
und Körper gleichermaßen erreicht.
Lebenswerk
Roberto Ciulli wird in diesem Jahr mit dem Preis für das Lebenswerk ausgezeichnet. Mit Ciulli ehren die Veranstalter einen Theatermacher, der laut Jury wie kein anderer für eine offene und diverse Gesellschaft steht. „Seit fast vierzig Jahren schafft es Roberto Ciulli am Theater an der Ruhr in Mülheim – als Leiter, Regisseur und Schauspieler – sich immer weiter zu entwickeln, mit Humor, Menschenkenntnis, Ernst und Liebe. Italienische Commedia und Clownerie verbinden sich in seinem Schaffen mit großen europäischen Stoffen und der Sympathie für Schwache und Unterdrückte”, so die Jurybegründung.
Roberto Ciulli wurde 1934 in Mailand geboren. Er schloss sein Studium der Philosophie an den Universitäten von Mailand und Pavia mit einer Promotion über Hegel ab. Mit 26 Jahren gründete er in einem Mailänder Randbezirk das Zelttheater Il Globo. Seine Theaterarbeit in Deutschland begann er am Deutschen Theater in Göttingen, wo er von 1965 bis 1972 zunächst als Regieassistent, dann als Regisseur arbeitete. Er inszenierte in Berlin und Düsseldorf und war von 1972 bis 1979 Schauspieldirektor am Schauspiel Köln. 1980 gründete er zusammen mit dem Dramaturgen Helmut Schäfer (und dem Bühnenbildner Gralf-Edzard Habben) das Mülheimer Theater an der Ruhr.
Schon lange hat sich das Theater der internationalen Kulturarbeit verpflichtet. Es sucht und fördert die multikulturelle Begegnung, gastiert regelmäßig im Ausland und holt ausländische Theaterensembles nach Mülheim an der Ruhr. Für sein politisches und interkulturelles Engagement wurde Ciulli mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.